Archer Jeffrey
Einziger auf dem Bahnsteig zurück. Er starrte hinüber zu den Wagen auf der anderen Seite und beobachtete, wie sie langsam losfuhren. Als der letzte Wagen im Tunnel verschwunden war, lächelte Andrew wieder. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig stand die junge Frau, und diesmal erwiderte sie sein Lächeln.
Sie mögen sich fragen, woher ich weiß, dass diese Geschichte wahr ist. Die Antwort ist einfach. Ich erfuhr sie an Andrews und Claires zehntem Hochzeitstag in diesem Jahr.
Beide Seiten gegen die Mitte
»Da gibt’s eine weitere Sache, die ich noch nicht angesprochen habe«, sagte Billy Gibson, »aber lass mich zuerst dein Glas nachfüllen.«
Seit zwei Stunden saßen die beiden Männer in einer ruhigen Ecke des King William Arms Pub und diskutierten über die Probleme einer Polizeikommandantur an der Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland im Süden. Billy Gibson stand kurz vor der Pensionierung, nach dreißig Jahren Polizeidienst, von denen er die letzten sechs Jahre als Kommandant abgeleistet hatte. Sein baldiger Nachfolger, Jim Hogan, mit dem er sich bereits recht gut verstand, kam aus Belfast. Wenn Hogan seine Sache gut machte, hieß es, würde er zum Kommandanten im Rang eines Chief Constable befördert.
Billy nahm einen tiefen Schluck und lehnte sich zurück, bevor er mit seiner Story begann.
»Niemand weiß, wie viel Wahres an der Story ist, die man sich über das Haus erzählt, durch das die Grenze verläuft; wie bei allen guten irischen Geschichten machen immerzu Halbwahrheiten die Runde. Ich muss dich erst in die Geschichte des Hauses einweihen, ehe ich zu dem Problem komme, das ich mit seinem derzeitigen Besitzer habe. In dem Zusammenhang muss ich einen gewissen Patrick O’Dowd erwähnen, der in der Baubehörde der Stadt Belfast gearbeitet hat …«
» … die selbst in den besten Zeiten eine echte Schlangengrube war«, warf der baldige neue Kommandant ein.
»Und es waren damals nicht die besten Zeiten.« Billy nahm einen weiteren Schluck Guinness, ehe er fortfuhr.
»Niemand hat je erfahren, warum O’Dowd überhaupt die Genehmigung erteilte, ein Haus direkt über der Grenze zu bauen. Erst als es fertig war, schaute sich ein Angestellter der Stadtkasse eine amtliche topographische Karte an und wies die Zuständigen in Belfast darauf hin, dass die Grenze direkt durch die Mitte des Wohnzimmers verlief. Ein paar alte Knacker in der Ortschaft meinen, dass der Architekt die Pläne nicht richtig gelesen hat; andere sind überzeugt, dass er sehr genau wusste, was er tat.«
»Damals war es ziemlich egal, denn das Haus wurde für Bertie O’Flynn erbaut, ein Witwer und gottesfürchtiger Mann. Er ging in der St. Mary im Süden zur Messe und trank sein Guinness im Volunteer im Norden. Und Bertie war politisch völlig unbelastet.«
»Nun, Dublin und Belfast gelangten wie durch ein Wunder zu einem seltenen Einvernehmen. Da die Haustür sich in Nordirland befand, führte Bertie seine Steuern an die Krone ab; seine Küche und 2000 Quadratmeter Garten jedoch lagen auf dem Gebiet der Republik Irland, sodass er seine Gemeindeabgaben auf der anderen Seite der Grenze bezahlte. Jahrelang ging das gut, bis der alte Bertie verschied und das Haus seinem Sohn Eamonn vererbte. Um es kurz zu machen: Eamonn war ein Nichtsnutz, ist ein Nichtsnutz und wird immer einer bleiben.«
»Der Junge war im Norden in die Schule gegangen und zur Kirche im Süden. Für beides zeigte er wenig Interesse. Mit elf Jahren wusste er alles übers Schmuggeln, außer vielleicht, wie man dieses Wort buchstabiert. Mit dreizehn kaufte er Zigaretten stangenweise im Norden und tauschte sie gegen Kästen Guinness im Süden. Mit fünfzehn machte er mehr Geld, als sein Lehrer verdiente, und als er von der Schule abging, führte er bereits ein blühendes Geschäft. Er importierte Schnaps und Wein aus dem Süden und exportierte Hasch und Kondome aus dem Norden.«
»Jedes Mal, wenn sein Bewährungshelfer an der Haustür im Norden klopfte, zog er sich in seine Küche im Süden zurück. Wenn Eamonn die Garda, unsere hiesige Polizei, den Gartenweg heraufkommen sah, verschwand er ins Esszimmer und blieb dort, bis die genervten Gesetzeshüter es aufgaben und wieder verschwanden. Und jedes Mal musste der alte Bertie zur Tür schlurfen und sich mit den Beamten herumschlagen, was schließlich wohl der Grund dafür war, dass Bertie seinen Geist aufgab.«
»Als ich vor sechs Jahren Kommandant wurde, nahm ich mir fest vor, Eamonn O’Flynn hinter Gitter zu
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