Archer Jeffrey
aufschaute. Diese Gestalt füllte das kleine Zimmer aus, und in die Augen des Vaters trat Furcht. Ein freundliches Lächeln beschwichtigte diese Angst, und der Waldhüter bat Baron Rosnovski, einzutreten. Niemand sprach. Der Baron hatte sie noch nie aufgesucht, und man wußte nicht recht, was man sagen sollte.
Wladek legte das Buch weg, stand auf, ging auf den Fremden zu und streckte, bevor der Vater ihn zurückhalten konnte, die Hand aus. »Guten Abend, Herr«, sagte Wladek.
Der Baron nahm seine Hand, und sie starrten einander an. Als der Baron Wladeks Hand losließ, fiel dessen Blick auf einen herrlichen silbernen Armreif mit einer Inschrift, die er nicht entziffern konnte.
»Du mußt Wladek sein.«
»Ja, Herr«, sagte der Junge; weder klang es erstaunt noch war er erstaunt darüber, daß der Baron seinen Namen kannte.
»Ich möchte deinetwegen mit deinem Vater sprechen«, sagte der Baron.
Wladek blieb vor dem Baron stehen und starrte ihn unverwandt an. Der Waldhüter bedeutete den Kindern mit einer Handbewegung, ihn mit seinem Gebieter allein zu lassen; zwei von ihnen machten einen Knicks, vier verbeugten sich, und alle sechs zogen sich schweigend auf den Dachboden zurück. Wladek blieb zurück, und niemand dachte daran, ihn fortzuschicken.
»Koskiewicz«, begann der Baron - immer noch stehend, da ihn niemand zum Sitzen aufgefordert hatte. Aus zwei Gründen hatte ihm der Waldhüter keinen Stuhl angeboten; erstens, weil er zu schüchtern war, und zweitens, weil er annahm, der Baron sei gekommen, um einen Tadel auszusprechen. »Ich bin gekommen, weil ich dich um etwas bitten möchte.«
»Was immer Sie wünschen, was immer«, sagte der Vater und fragte sich, was er dem Baron geben könnte, das dieser nicht schon hundertfach besaß.
Der Baron fuhr fort: »Mein Sohn Leon ist jetzt sechs Jahre alt und wird auf dem Schloß von zwei Privatlehrern unterrichtet; der eine ist Pole wie wir, der andere kommt aus Deutschland. Man sagt mir, daß Leon ein aufgeweckter Junge sei, aber es fehlt ihm, da er allein ist, der Ansporn. Herr Kotowski, der Dorfschullehrer in Slonim, versicherte mir, Wladek sei der einzige, der Leon die Herausforderung bieten könnte, die er so dringend braucht. Würdest du deinem Sohn erlauben, die Dorfschule zu verlassen, um im Schloß gemeinsam mit Leon unterrichtet zu werden?«
Wladek stand immer noch vor dem Baron, während er eine wunderbare Vision hatte, von Speisen und Getränken, von Büchern und Lehrern, die viel klüger waren als Herr Kotowski. Er schaute seine Mutter an. Auch sie blickte auf den Baron, und auf ihrem Gesicht spiegelten sich Erstaunen und Schmerz. Der Vater wandte sich der Mutter zu, und dem Kind erschien der Augenblick schweigender Verständigung zwischen ihnen wie eine kleine Ewigkeit.
Mit rauher Stimme und gebeugtem Kopf murmelte der Waldhüter: »Wir wären sehr geehrt, Herr.«
Der Baron schaute Helena Koskiewicz fragend an.
»Die Heilige Jungfrau verhüte, daß ich jemals meinem Kind im Wege stünde«, sagte sie leise, »obwohl sie allein weiß, wie schwer es mir fällt.«
»Ihr Sohn kann regelmäßig nach Hause kommen, um Sie zu besuchen, Frau Koskiewicz.«
»Ja, Herr. Ich nehme an, daß er das anfangs auch tun wird.«
Sie wollte eine Bitte hinzufügen, überlegte es sich aber anders.
Der Baron lächelte. »Gut, dann ist das eine beschlossene Sache. Bitte bringt den Jungen morgen um sieben Uhr morgens ins Schloß. Während der Schulzeit wird Wladek bei uns wohnen, und in den Weihnachtsferien kann er zu euch zurückkehren.«
Wladek brach in Tränen aus.
»Ruhig, Junge«, befahl Jasio.
»Ich will nicht gehen«, sagte Wladek bestimmt und wollte doch sehr gern gehen.
»Ruhig, Junge«, sagte der Vater jetzt etwas lauter.
»Warum nicht?« fragte der Baron. In seiner Stimme schwang Mitleid mit.
»Ich werde Florcia nie verlassen - nie.«
»Florcia?« fragte der Baron.
»Meine älteste Tochter, Herr«, unterbrach der Waldhüter. »Kümmern Sie sich nicht um sie, Herr. Der Junge wird tun, was man ihm sagt.«
Niemand sprach. Der Baron überlegte. Wladek ließ seinen Tränen freien Lauf.
»Wie alt ist das Mädchen?« erkundigte sich der Baron.
»Vierzehn«, erwiderte der Waldhüter.
»Kann sie Küchenarbeit verrichten?« fragte der Baron und bemerkte erleichtert, daß Helena Koskiewicz nicht in Tränen ausbrach.
»Oh, ja, Herr Baron«, erwiderte sie. »Florcia kann kochen und nähen und…«
»Schon gut, dann kann sie mitkommen. Ich erwarte beide morgen um sieben Uhr morgens.«
Der
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