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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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amerikanischen Privatschule im Hudson Valley gewesen. Dann Teilnahme an einem Nachwuchsforum für angehende Wirtschaftsjuristen. In Gedanken sah sie ihn in einem grauen Anzug, mit einem Laptop an einem Rednerpult, wie er andere Siebzehnjährige über die Faszination gefälschter Bilanzen belehrte.
    Sie verlor gerade das Interesse, als sie an zehnter oder elfter Stelle auf einen Bericht über eine Spendengala in Mailand stieß. Der Artikel baute sich nervtötend langsam auf; die Datenleitungen im sizilianischen Hinterland ließen zu wünschen übrig. Erst erschien der Text, dann nach und nach die Bilder.
    Alessandro lächelte ihr entgegen, das Haar so widerspenstig wie im Flugzeug. Er sah blendend aus, unerwartet elegant in einem dunklen Anzug. Nicht einmal das Blitzlicht konnte ihm viel anhaben. Am Kinn hatte er, wahrscheinlich vom Rasieren, eine Blutkruste. Gott sei Dank gab es keine Fotos von Rosas Schienbeinen.
    Neben ihm stand ein Mann um die fünfzig, mit hohemschwarzen Haaransatz, dunklen Brauen und dem eingefrorenen Grinsen eines Politikers.
    Baron Massimo Carnevare, stand darunter, mit seinem Sohn Alessandro.
    s
    Sie begegnete keiner Menschenseele, als sie den Palazzo verließ, den schattigen Ring der Kastanien durchquerte und den Rand der Olivenhaine erreichte. Sie trug einen kurzen schwarzen Rock, ein schwarzes T-Shirt mit dem Schriftzug Bessere Lügner gibt es immer und ihre Metallkappenschuhe. Die Lackreste hatte sie am Morgen von ihren Fingernägeln entfernt.
    Sie hatte noch auf einen weiteren Artikel geklickt, zu dem sie Alessandros Name geführt hatte, auch wenn es darin eher um seinen Vater und dessen Geschäfte zu gehen schien. Mehr als den ersten Satz hatte sie nicht lesen können, bevor es ihr zu brenzlig geworden war, in Florindas Computer herumzustöbern:
    Allein in den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts starben in Süditalien zehntausend Menschen durch die Mafia – dreimal mehr als im nordirischen Bürgerkrieg in fünfundzwanzig Jahren.
    Wie viele dieser Opfer auf das Konto der Carnevares und Alcantaras gingen, wusste sie nicht. Heute würde sie vielen der Männer und Frauen begegnen, die für die Massaker der Cosa Nostra verantwortlich waren. Denjenigen, die schon damals Entscheidungen getroffen und Befehle gegeben hatten. Das machte sie ein wenig kribbelig, so als wäre sie am Nachmittag zum Weltkongress der Serienmörder eingeladen.
    Gott, was zieh ich nur an?
    Sie lächelte in sich hinein, weil das wahrscheinlich die Frage war, die Zoe sich seit Tagen stellte.
    Mittlerweile war sie tief in die Olivenhaine vorgedrungen und schlenderte gedankenverloren zwischen den verkrüppelten Stämmen hangabwärts. Florindas Männer mussten in der Nähe umherstreifen – mit Sicherheit blieb das Anwesen zu keiner Zeit unbewacht –, aber sie entdeckte niemanden und war froh darüber.
    Am Flughafen hatte Alessandro Carnevare ihr angeboten sie am Palazzo abzusetzen. Kein großer Umweg, hatte er behauptet. Blödsinn. Das Dorf Genuardo, zu dem der Stammsitz der Carnevares gehörte, war über eine Stunde von hier entfernt, so viel wusste sie mittlerweile. Hatte Alessandro sie nur als Vorwand benutzen wollen, um ungestört ins Herz eines gegnerischen Clans vorzudringen und später vor den Söhnen der anderen Bosse, der capi , damit zu prahlen? Sie traute ihm nicht.
    Dabei lag das wahre Problem auf der Hand: Sie konnte sich selbst nicht mehr vertrauen. Das hatte sie lernen müssen, vor einem Jahr, und nun war sie gezwungen damit zurechtzukommen. Es war leichter, ihr Misstrauen auf andere abzuwälzen, als in den Spiegel zu schauen, den vorwurfsvollen Blick ihrer Kajalaugen-ohne-Kajal zu ertragen und sich zu sagen: Du bist es. Du bist das Problem.
    Etwas bewegte sich. Rechts von ihr.
    Sie blieb stehen und blickte angestrengt in das Raster aus Schatten und Sonnenschein. Ein Rascheln fauchte durch die Blätter. Hinter dem Gewirr einiger Feigenkakteen ertönte ein Knurren.
    Sie versuchte etwas zu erkennen. Aber da war nichts. Nur Hell und Dunkel in harten Kontrasten, als wäre sie versehentlich von einem farbigen Fernsehprogramm in ein schwarz-weißes geraten.
    Wieder das Fauchen. Das war nicht der Wind.
    Aus dem Streifengitter von Licht und Dunkel glitt ein Tiger.

Bestiarium
    S eine Bewegungen waren so schnell, dass er von einem Augenblick zum nächsten vor ihr stand, den gelb-schwarzen Schädel erhoben, das Maul leicht geöffnet. Er sah ihr genau in die Augen.
    Nichts rührte sich. Die Welt war wie erstarrt.

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