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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Wirklichkeit ihn endgültig auslöschte. Der Pfad und die Felskante lagen wieder verlassen da, ein Stück Wildnis im blassen Schein des Halbmondes.
    Unten in der Kluft bewegte sich etwas.
    Rosa warf sich herum und taumelte den Berg hinauf.
    s
    Die Lichter des Palazzo tanzten vor ihr in der Dunkelheit, verschwanden hinter Bäumen, tauchten wieder auf. Sie stolperte den Pfad hinab, stürzte, griff in lose Piniennadeln und stemmte sich hoch. Die Umrisse der Stämme, graue Splitter des Nachthimmels und die leuchtenden Punkte der Fenster wurden zu einem wirbelnden Tanz, in dem sie nichts mehr erkennen konnte. Sie fror erbärmlich, das Zittern wollte nicht nachlassen. Eine Kälte, die das Blut aus ihren Adern drängte und von ihrem Herzen ausstrahlte.
    Breitere Baumstämme. Die Kastanien.
    Ihr Atem raste und klang in ihren eigenen Ohren wie Reptilienzischen. Sie spürte ihre Finger nicht mehr, als endeten ihre Arme in bloßen Stümpfen. Ihre Knie gaben wieder und wieder nach, sie hatte kaum noch Kontrolle über ihre Beine. Ihre Lippen fühlten sich trocken und aufgesprungen an, sie befeuchtete sie mit der Zunge. Stolperte abermals, fiel hin, biss sich fast die Zungenspitze ab. Rappelte sich auf und lief weiter.
    Plötzlich war jemand vor ihr, eine Gestalt. Rosa wollte sie fortstoßen – Nicht ich, niemals wieder!  –, aber ihre Hände griffen ins Leere. Dann wurde sie aufgefangen und hochgehoben. Ein Mann redete auf sie ein. Einer der Wächter.
    Während er sie trug, als besäße sie kein Gewicht, stellte er ihr viele Fragen, doch sie verstand keine einzige. Noch immer kämpfte sie gegen seinen Griff an. Fremde Blicke, fremde Hände. Ein Körper so nah an ihrem, viel zu nah.
    Dann eine andere Stimme.
    Florinda.
    Aufgebracht gab sie Anweisungen, die Rosa nicht verstand. Das Zittern ließ ein wenig nach, sie fror noch immer, aber nicht mehr so schlimm wie vorhin. Überall um sie war Licht. Visionen von Engeln und Teufeln – die Deckengemälde des Palazzo. Sie war im Haus, noch immer auf den Armen des Mannes, und sie blickte nach oben, während er mit ihr durch Gänge und Säle hastete. Ernste, rundwangige, verblasste Gesichter. Dazwischen hagere Knochenschädel heiliger Männer. Verschlungene Ornamente und Muster. Ihr war vorher nie aufgefallen, wie bildgewaltig die Fresken unter den Decken waren.
    Florindas Stimme wurde von den Bildern überlagert. Hören und Sehen wurden eins, Frieren und Schwitzen, ihr rasselnder Atem und das Zischen der Riesenschlange draußen im Wald.
    Dann knirschten Türen und Rosa hörte erneut Florinda, diesmal wütend, außer sich. Hände auf ihrem Körper. Sie wurde nicht mehr getragen, lag auf einer weichen Unterlage. Ihrem Bett? Nein, kein Bett. Sie spürte Gras. Oder Erde. War sie wieder im Freien?
    Nicht zurück in den Wald! , wollte sie brüllen, aber erneut kam nur ein Fauchen heraus, das Zischeln ihres Atemholens. Ihre Zunge fuhr über ihre Lippen, trocken und rau und in einem zwanghaften Rhythmus, immer wieder. Sie versuchte ihre Finger und Füße zu bewegen, aber falls es gelang, spürte sie esnicht. Ihr Körper bäumte sich auf, bildete eine Brücke, sackte wieder zusammen.
    Der Mann war längst fort, Florinda verstummt. War sie noch bei ihr? Rosa war es gleichgültig, weil überhaupt nichts mehr Bedeutung hatte. Wo sie war. Was sie war. Im Stakkato von wachen Augenblicken und Dunkelheit spielte das keine Rolle.
    Es war jetzt nicht mehr so hell wie vorhin, die Umgebung blässlich und trüb, ein Hauch von Blau und Grün. Aquariumlicht, dachte sie benommen. Unter Wasser, wie die ertrunkenen Bewohner von Giuliana. Aber sie konnte atmen, nun wieder ruhiger, konnte Luft holen, ohne dass Wasser in ihre Lungen drang. Um sie waren Geräusche, ein Rascheln und Knistern, als würde etwas Schweres durch dichtes Unterholz geschleift. Nicht sie, denn sie lag still am Boden. Noch immer nicht in einem Bett, sondern auf warmer Erde.
    Sie war nackt. Jemand hatte sie ausgezogen.
    Ein Schrei stieg in ihr auf, ein Schrei wie der, den sie vielleicht vor einem Jahr ausgestoßen hatte, aber sie konnte sich nicht sicher sein. Auch damals war sie ausgezogen worden.
    Sie tastete über ihre bloße Haut, strich über ihren Oberkörper, die knochigen Hüften, ihre Schenkel. Sie konnte ihre Hände wieder spüren.
    Ihre Augen gewöhnten sich an das Halblicht. Überall sah sie Pflanzen, dichte, tropische Vegetation. Wie ein Dschungel. Die Luft war feucht und schwer. In den Glasscheiben über ihr spiegelte sich

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