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Arkadien 01 - Arkadien erwacht

Titel: Arkadien 01 - Arkadien erwacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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schnappen.
    Es war eine Schlange. Eine mehrere Meter lange Schlange mit silbrig schwarzer Schuppenhaut, einem Schädel so groß wie der eines Krokodils und mit fingerlangen Zähnen.
    Sie hatte sich eng um den Körper des Tigers geschlungen und presste seinen Brustkorb zusammen, während ihr Kopf durch die Dunkelheit peitschte, um seinem schnappenden Maul zu entgehen.

Kaltblüter
    T iger und Schlange wälzten sich am Boden, fauchten und brüllten in einem Kampf auf Leben und Tod, prallten gegen Baumstämme und landeten durch einen schwankenden Sprung der Raubkatze wieder gemeinsam auf dem Pfad – diesmal unterhalb von Rosa, die herumwirbelte und versuchte, dieses Chaos aus Gelb und Schwarz, aus Pranken und nadelspitzen Zähnen im Blick zu behalten.
    Die Kälte war noch immer in ihr, aber sie breitete sich nicht weiter aus. Ihr ganzer Körper schien zu pulsieren, als wäre ihr Herz auf ein Vielfaches seiner Größe angeschwollen und drohte ihren Brustkorb zu sprengen. Sie hatte Schmerzen, etwas zog an ihren Gliedern und versuchte, sie zu verdrehen und zu brechen und neu zu formen.
    Aber all das geschah im Hintergrund, denn noch immer forderte der Kampf der beiden Bestien ihre ganze Aufmerksamkeit. Rosa rang um ihr Gleichgewicht, während sie den Blick nicht von dem tobenden Tiger lösen konnte. Er versuchte nach Kräften, die Riesenschlange abzuschütteln, die sich nun in mehreren Windungen um seinen Körper geschlungen hatte. Wieder stolperte er, geriet ins Straucheln, ließ sich abrollen und riss die Schlange in einem aufstiebenden Durcheinander aus Piniennadeln und Staub mit sich den Pfad hinunter. Erst am Waldrand kam er wieder auf die Beine und Rosa erinnerte sich benommen, was dahinterlag. Die Felskante. Dann die Schlucht.
    Der Schlangenschädel pendelte halb betäubt von dem harten Aufprall über dem Rücken des Tigers. Einmal mehr klaffte das weite Maul auf, die gebogenen Zähne schimmerten wie Elfenbeindolche. Der Tiger wischte sich mit einer Pranke über Kopf und Schultern, fast ein wenig unbeholfen, als säße dortein lästiges Insekt. Er traf das Reptil unterhalb seines Kopfes, der geschmeidige Leib bog sich durch und federte den mörderischen Hieb elegant ab. Erneut aber kam die Schlange nicht dazu, die Zähne in seinen Nacken zu schlagen – und erkannte einen Augenblick zu spät, dass der Schlag noch einen zweiten Zweck erfüllte. Durch die hastige Ausweichbewegung kam ihr Leib in Reichweite des Tigermauls, nur einen Moment lang, aber der reichte aus.
    Mit einem Brüllen packte die Raubkatze zu, hieb ihr Gebiss in den Schlangenkörper und zerrte daran. Das Reptil kreischte auf, aber statt sich geschlagen zu geben, setzte es zum Gegenangriff an. Die gebogenen Zähne verschwanden im Fell des Tigers, gruben sich bis zum Anschlag hinein. Ihr Biss konnte nicht giftig sein, sonst wäre ihr Gegner wohl gleich zusammengebrochen. Jetzt waren beide noch enger ineinander verschlungen. Der Tiger versuchte sich zu befreien, aber mit seinem verdrehten Hals konnte er nur einen Bruchteil seiner Kraft einsetzen. Die Schlange würgte ihn, ihre Zähne steckten in seinem Leib und es grenzte an ein Wunder, dass er sich auf den Beinen halten konnte.
    Rosa taumelte gegen einen Baum neben dem Pfad, einige Meter von den beiden Gegnern entfernt. Mit einer Hand stützte sie sich ab, mit der anderen rieb sie sich krampfhaft die Augen. Sie sah den Tiger und die Schlange nur noch verschwommen, ein Flirren lag um ihre Körper. Vielleicht war das nur der Einfluss der Kälte, die auch ihr Sehvermögen beeinträchtigte, vielleicht aber war es wirklich da.
    Der Tiger brüllte wutentbrannt auf und ließ den Schuppenleib los. Die Schlange stieß ein scharfes Zischen aus, gedämpft durch Fell und Fleisch in ihrem Maul. Der Druck auf den Körper der Raubkatze zeigte endlich Wirkung, als dem Tiger die Atemluft ausging und er zur Seite stolperte.
    Der kraftlose Sprung trug ihn genau auf die Felskante zu. Auch die Schlange begriff, was geschah, aber sie hatte sich vielzu fest um seinen Körper geschlungen, um rechtzeitig zu entkommen.
    Das Knäuel aus Tiger und Schlange verlor das Gleichgewicht und wurde vom eigenen Schwung über den Rand geworfen. Im nächsten Moment waren beide hinter der Kante verschwunden. Rosa hörte trockene Zweige bersten, gefolgt von einem dumpfen Aufschlag am Boden der Waldschlucht.
    Ihre Abbilder verblassten vor Rosas Augen, ein schwindender Albtraum, halb hinübergetragen aus dem Schlaf ins Erwachen, ehe die

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