Arkadien 01 - Arkadien erwacht
plötzlich, als hätte jemand mit einem gigantischen Spaten ein Stück davon abgestochen. Eine scharfe Kante, darunter eine felsige Waldschlucht. Vielleicht zehn Meter tief, nicht mehr. Die gegenüberliegende Seite war ebenfalls bewaldet, darüber hing der klare Sternenhimmel.
Rosa blieb an der Kante stehen, konnte sehen, dass der Pfad nach einer scharfen Biegung daran entlangführte, und meinte auch Zoe wieder auszumachen, eine schmale Gestalt zwischen dem Felsrand und den Bäumen. Rosa folgte ihr jetzt langsamer und das bewahrte sie davor, entdeckt zu werden, als ihre Schwester abrupt stehen blieb und sich umschaute. Es blieb keine Zeit mehr, seitwärts zwischen den Bäumen Deckung zu suchen. Sie verharrte im Schatten einer Pinie und hoffte, dass die Dunkelheit ihren Umriss verbarg. Zoe sah jetzt genau zu ihr herüber. Dann aber wandte sie ihren Blick der Schlucht zu, sogar hinauf zum Himmel, als befürchtete sie Verfolger aus der Luft.
Als Zoe weiterging, blieb Rosa noch eine Weile länger stehen, ehe sie sich schließlich erneut in Bewegung setzte. Der Pfad führte mehrere Hundert Meter an der Felskante entlang, keine zwei Schritt neben der Schlucht. Irgendwo in der Ferne schrie eine Eule.
Aus dem Dunkel schälte sich der klobige Umriss eines Bauernhauses. Rosa dachte zunächst, dass das verkommene Gemäuer leer stand, doch dann bemerkte sie einen schwachen Lichtschein im Inneren. Die Dachziegel sahen mitgenommen aus, das helle Mauerwerk baufällig. Fensterläden gab es keine mehr, aber jemand musste drinnen schwarze Vorhänge angebracht haben. Helligkeit glühte als schmaler Spalt zwischen den dunklen Stoffen.
Zoe rief etwas, das Rosa nicht verstand. Die Rückseite des Hauses grenzte unmittelbar an die Felskante, seine Vorderseite war dem Pinienwald zugewandt. Mit einem Knarren wurde die Tür geöffnet, ein gelber Lichtfächer floss über den Boden. Zoes Silhouette zeichnete sich vor dem hellen Rechteck ab, in dem nun eine Gestalt erschien, gedrungen, mit breiten Schultern. Der Mann winkte sie herein, dann wurde die Tür wieder geschlossen.
Rosa ging zwischen den vorderen Bäumen in Deckung, sorgfältig darauf bedacht, eine Stelle zu wählen, die das Licht nicht berühren würde, wenn die Tür abermals geöffnet wurde. Sie war nicht sicher, was sie jetzt tun sollte. Zum Fenster hinüberzuschleichen kam ihr kindisch vor. Weshalb interessierte es sie, was Zoe da drinnen trieb? Aber warum sonst war sie ihr gefolgt? Nun schämte sie sich beinahe dafür.
Sie war drauf und dran, einfach kehrtzumachen und Zoemit ihren Angelegenheiten allein zu lassen, als das Knarren von neuem ertönte und die Tür wieder aufschwang. Das war kaum genug Zeit für eine Begrüßung gewesen.
Ihre Schwester erschien mit dem bulligen Mann im Freien, beide pechschwarze Scherenschnitte vor der Helligkeit im Haus. Zoe beugte sich vor, küsste den Mann freundschaftlich auf beide Wangen, dann eilte sie zurück auf den Pfad und an der Felskante entlang. In einer Hand hielt sie ein flaches Bündel wie schon beim ersten Mal, als Rosa sie beobachtet hatte. Sie sah noch einmal über die Schulter, winkte dem Mann zu, dann verschwand sie im Dunkel.
Rosa hielt den Atem an, während der Umriss noch eine Weile in der Tür stehen blieb. Der Bewohner des Gemäuers schien sich umzusehen, sein Blick wanderte über den gesamten Waldrand, auch zu der Stelle, an der sie sich verbarg. Mehrfach stockte er, als hätte er etwas bemerkt, trat schließlich aber rückwärts ins Haus und drückte die Tür zu. Rosa biss sich auf die Unterlippe und wagte wieder Luft zu holen.
Als sie zurück zum Pfad huschte, überlegte sie, dass ihre Nervosität eigentlich unbegründet war. Dies hier war Alcantara-Land, der Palazzo in der Nähe, und auf der anderen Seite des Berges patrouillierten bewaffnete Wächter ihrer Tante. Florinda musste über den Mann in der Ruine Bescheid wissen. Vermutlich war Zoe in ihrem Auftrag hergekommen. Aber was für eine Aufgabe erfüllte sie hier?
Der Pfad oberhalb der Schlucht lag jetzt verlassen vor ihr. Zoe musste sich beeilt haben. Auch Rosa wurde schneller, wandte sich bald hangaufwärts und folgte dem schmalen Weg zur Bergkuppe.
Zwischen den Pinien erklang ein Knurren.
Erst links, dann hinter ihr, schließlich auf der rechten Seite des Pfades.
Sie lief nicht davon. Blieb einfach stehen.
Langsam ließ sie ihren Blick über die Baumstämme gleiten.Kein Dickicht behinderte ihre Sicht und die Pinien wuchsen in weiten Abständen.
Der
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