Armageddon 04 - Der Neutronium-Alchimist
hatte sich vor der Luftschleuse im oberen Drittel der Lebenserhaltungskapsel versammelt, um sich von ihren Passagieren zu verabschieden. Pieri war hin und her gerissen zwischen Verzweiflung und dem Zwang, vor seinen zahlreichen Geschwistern und den Eltern Haltung zu bewahren. Er schaffte es, Louise einen platonischen Kuß auf die Wange zu drücken, und drückte sie länger an sich, als es nötig gewesen wäre. »Ich könnte dir immer noch den Asteroiden zeigen«, murmelte er.
»Vielleicht«, antwortete sie lächelnd. »Warten wir’s ab, wie lange wir hierbleiben müssen, oder?«
Er nickte und errötete bis über beide Ohren.
Louise schwebte durch den Andockschlauch voran, die Reisetasche auf dem Rücken wie einen militärischen Tornister. Ein einzelner Mann wartete am anderen Ende des Schlauchs, gekleidet in eine blaßgrüne Uniform mit einem Schriftzug auf dem Ärmel. Er lächelte freundlich.
»Sie müssen die Kavanaghs sein?«
»Ja«, antwortete Louise.
»Ausgezeichnet. Mein Name ist Brent Roi, Zollabfertigung des High-York-Asteroiden. Es tut mir leid, aber da wären ein paar Formalitäten zu erledigen. Wir hatten keine Besucher mehr von außerhalb des Sonnensystems, seit die Quarantäne in Kraft getreten ist. Das bedeutet, daß meine Leute herumsitzen und Däumchen drehen vor Langeweile. Noch vor einem Monat hätten Sie hier durchfliegen können, ohne daß Sie jemandem aufgefallen wären.« Er lächelte Genevieve an. »Das ist aber eine große Tasche, die du da hast. Du versuchst doch wohl nicht, etwas zu schmuggeln?«
»Nein!«
Er zwinkerte ihr zu. »Sehr schön. Hier entlang, bitte.« Er schwebte durch den Korridor voran, indem er sich von Haltegriff zu Haltegriff zog.
Louise folgte ihm mit Genevieve dicht auf den Fersen. Hinter sich vernahm sie ein surrendes Geräusch. Die Luke der Jamrana schloß sich wieder.
Jetzt gibt es keinen Weg mehr zurück, dachte sie. Nicht, daß es je einen gegeben hätte.
Wenigstens schien der Zollbeamte freundlich zu sein. Vielleicht hatte sie sich zu viele Sorgen wegen dieses Augenblicks gemacht.
Der Raum, in den Brent Roi sie führte, war im Grunde genommen nur eine verbreiterte Sektion des Korridors, zylindrisch, zehn Meter lang und acht breit. Es gab kein Mobiliar bis auf die fünf Reihen von Haltegriffen, die vom Eingang her an den Wänden verliefen.
Brent Roi zog die Beine an und stieß sich schwungvoll ab, sobald er durch die Luke war. Als Louise hineinkam, hatte er sich bereits zu den anderen gesellt, die an den Wänden warteten. Sie blickte sich um, und ihr Herz klopfte aufgeregt. Ein Dutzend Leute hatten sich ringsum auf StikPads verankert. Louise konnte ihre Gesichter nicht erkennen, sie trugen ausnahmslos Helme mit silbernen Visieren. Jeder hielt eine sperrige Waffe in den Händen. Die kurzen Läufe richteten sich auf Fletcher, als dieser durch die Luke schwebte.
»Und das soll der Zoll sein?« fragte Louise mit bebender Stimme.
Genevieves kleine Hand packte ihren Knöchel. »Louise!« sie kletterte am Körper ihrer großen Schwester entlang wie eine Rebe in Zeitraffer. Die beiden jungen Frauen klammerten sich furchterfüllt aneinander.
»Diese Ladys sind nicht besessen«, sagte Fletcher ruhig. »Ich bitte Euch, Sie nicht in Gefahr zu bringen. Ich werde keinen Widerstand leisten.«
»Da hast du verdammt recht, das wirst du nicht, du Hundesohn«, schnarrte Brent Roi.
Ashly feuerte die Schubdüsen des MSVs: zu heftig, zu lang. Er fluchte ungehalten. Die Drift hatte sich umgekehrt, anstatt aufzuhören. Der auf ihm lastende Druck war nahezu unerträglich. Fehler wie dieser konnten sie eine Menge mehr kosten als nur das Leben. Per Datavis übermittelte er eine weitere Serie von Befehlen an den Rechner des kleinen Fahrzeugs, und die Antriebe zündeten erneut, diesmal kürzer und mit weniger Schub.
Das MSV kam drei Meter über der Luke zum relativen Stillstand. Sie war, wie der gesamte Rumpf der Beezling, von tiefen Rissen und Kratern übersät. Aber sie funktionierte noch.
»Keine Partikelpenetration«, meldete er per Datavis. »Scheint unbeschädigt zu sein.«
»Sehr gut. Mach sie auf«, antwortete Joshua.
Ashly hatte bereits einen der drei Waldo-Arme des MSV ausgefahren. Er schob eine Hand direkt in die Halterung eines abgebrochenen Sensorclusters und drückte die Fingersegmente auseinander, bis das MSV sicher verankert war. Am Ende des zweiten Arms saß eine Fissionsklinge. Ashly aktivierte sie, und ein gelbes Leuchten hüllte die Spitze ein.
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