Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Wesen der Freiheit und des Staates auch nur einzulassen. Ja, sie stellten nicht einmal die orthodoxen marktwirtschaftlichen Thesen infrage, die ihnen in einer Versammlung nach der anderen von den Protestlern entgegenschallten.
Es war, als ob der alte liberale Katechismus zu einer verbotenen Sprache geworden wäre, als ob er auf irgendeinem Index verbotener Gedanken stünde. Stattdessen versuchten die meisten Demokraten, denen ich zuhörte, das Gespräch gnadenlos immer wieder auf die verwirrenden Einzelheiten der diversen Reformvorschläge zurückzulenken.
Dieses Versagen zog ein weiteres Desaster nach sich. Bei ihrem übereilten Rückzug vor den Angriffen der Rechten warfen sich die Demokraten in die Arme der mit ihnen verbündeten Unternehmen. Sie verwarfen das zur Debatte stehende einfachere Modell, das in der Öffentlichkeit beliebter, aber auch stärker staatlich ausgerichtet war, und schwenkten auf das Modell einer »Versicherungspflicht« um, die jedem einzelnen Bürger auferlegte, für sich selbst einen Vertrag bei einer privaten Krankenversicherung abzuschließen. Dieser Lösungsansatz bedeutete mehr Einmischung in die Privatsphäre, war komplizierter und bürokratischer. Da dabei aber kein einheitliches Versicherungssystem herauskommen würde, zielte er mehr auf die politische Mitte. Die privaten Versicherungsgesellschaften freuten sich darüber natürlich wie die Schneekönige.
So kam es also, dass ein populistischer Wutausbruch der Rechten dazu führte, dass die um Widerworte verlegenen Demokraten die populären Elemente ihres Plans verwarfen und sich stattdessen für etwas entschieden, das man als »elitäre« Option bezeichnen könnte, eine mächtig nach Vetternwirtschaft riechende Lösung, die dieWahlmöglichkeiten der Öffentlichkeit einschränkte, fette Unternehmensgewinne aber garantierte. Was jahrzehntelang eine Kampagne gewesen war, die dem Durchschnittsbürger mehr Sicherheit bringen sollte, wurde so zu wenig mehr als einem Insidergeschäft zwischen Mitgliedern der »herrschenden Klasse«, wie die neue Rechte sie nun bald nannte.
Die vorrangige Beschäftigung mit technischen Details, die mir bei der Debatte um die Gesundheitsreform auffiel, entsprang nicht nur einem Versagen der bedauernswerten Abgeordneten, die diese Bürgerversammlungen einberiefen, sondern einem Versagen der gesamten Demokratischen Partei. Von der Parteispitze an abwärts brachten die Demokraten es einfach nicht fertig, uns darzulegen, weshalb unser System auf Grund gelaufen war und wir uns daran beteiligen sollten, die Dinge zum Besseren zu wenden. Sie schafften es nicht, einen eigenen ideologischen Standpunkt einzunehmen.
Diese ideologische Leere war nicht einmal zu übersehen, wenn die Regierung Obama auf die großen liberalen Triumphe der Vergangenheit zu sprechen kam. Man nehme beispielsweise Christina Romers Rede aus dem Jahre 2009, »Lessons from the Great Depression«, ein für diese Regierung typisches Dokument, aus dem ich in diesem Buch schon verschiedentlich zitiert habe. Darin unternahm Romer, damals Vorsitzende des Council of Economic Advisers des Präsidenten, einen Streifzug durch die Dreißigerjahre, auf der Suche nach Orientierung für heutige Führungskräfte. Doch ob sie nun über Geldmengenerhöhung sprach oder über die Notwendigkeit von Konjunkturprogrammen: Jeden ihrer Vorschläge stellte sie als schlichte politische Entscheidungsfrage dar, als etwas, wozu intelligente Menschen ganz selbstverständlich greifen würden, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Dass es in den Dreißigerjahren nur deshalb zu Geldmengenerhöhungen und Konjunkturprogrammen kommen konnte, weil sich das Denken des Durchschnittsamerikaners in politischen und wirtschaftlichen Fragen gewandelt hatte, wurde dabei überhaupt nicht erwähnt. Man erwartete von uns, dass wir die Fachliteratur gut genug kannten, um zu wissen, welchen Weg wir einzuschlagenhatten. Das Expertenwissen würde uns leiten. Ideologische Aspekte konnte man dabei vernachlässigen. [1]
Und so versuchten die Führer der Demokraten stets, die Wut der Öffentlichkeit über die Bailouts zu beschwichtigen, ohne dabei jedoch mehr als nur ganz am Rande mal zu erwähnen, welche Macht Wall Street über Washington hat – und überließen dieses Thema damit der neuen Rechten. Sie gaben uns ein Konjunkturprogramm, aber keine tragfähige Verteidigung schuldenfinanzierter Staatsausgaben. Sie stärkten bestimmte Regulierungsbehörden, wagten aber nicht, der Welt zu sagen,
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