Arme Milliardäre!: Der große Bluff oder Wie die amerikanische Rechte aus der Krise Kapital schlägt
Verfahren, das auf abstrakten moralischen Abqualifizierungen beruht. In einer zentralen Passage, in der es um die Debatten vor der Präsidentschaftswahl 2008 geht, kritisiert DeMint den damaligen Senator Barack Obama dafür, dass er von Märkten gesprochen habe, »die nach ihrer Deregulierung aus dem Ruder gelaufen« seien. DeMint begegnet dieser Aussage nicht etwa durch eine Darstellung, inwiefern die Märkte nach ihrer Deregulierung
nicht
aus dem Ruder gelaufen seien, sondern begnügt sich mit dem Hinweis, dass der künftige Präsident derartige Aussagen getroffen habe und daher ein Mann mit »sozialistischen Prinzipien« sei. [13]
DeMints Absicht besteht hier nicht darin, etwas zu widerlegen, sondern jemanden zu entlarven und einem inakzeptablen Denken Einhalt zu gebieten. Für diejenigen, die an die Freiheit glauben, kann es nur eine einzige Sichtweise auf den Kollaps von 2008 geben, und sie haben sich daran zu halten, ob sie den Tatsachen entspricht oder nicht.
Senator DeMints Hang zum Moralisieren könnte auch seine Vorliebe für Märchen erklären. Ein Kapitel beginnt er mit einer Betrachtung über
Die drei kleinen Schweinchen,
ein weiteres mit einigen Gedanken zur Geschichte vom
Lebkuchenmann.
Die Tendenz der neuen Rechten zum Infantilen ist uns ja bereits aufgefallen, und auch bei diesem Beispiel liegt auf der Hand, was damit zum Ausdruck gebrachtwerden soll: dass die Wirtschaft nämlich als Kampf zwischen Gut und Böse gesehen werden muss. Der Staat ist die böse Hexe, während der freie Markt als gute Fee auf magische Weise Freiheit und Wohlstand bringt.
Was hier geschieht, ist nicht einfach nur ein Rückzug in die Schlichtheit. Wenn es allein um Schlichtheit ginge, lägen die Antworten heutzutage ja buchstäblich auf der Hand: Unsere Führungsschicht jagt seit nunmehr gut dreißig Jahren dem Traum vom freien Markt hinterher, und mit jedem Schritt, den sie uns diesem Traum näher brachte, nahm die allgemeine Ungleichheit zu, blähten sich weitere Finanzblasen auf und platzten, durchdrang Korruption immer weitere Bereiche der Politik und wurde das Auf und Ab der Konjunktur immer unberechenbarer. Das eine ist die Folge des anderen. Das ist die »schlichte« Antwort. [14]
Doch die neue Rechte simplifiziert die Wirklichkeit weniger, als dass sie sie idealisiert. Diese Leute leben in einer Welt, in der Überzeugungen im Grunde keine Konsequenzen haben und Behauptungen nicht überprüft, sondern nur immer lauter wiederholt werden. Es ist, als hätten die beängstigenden Nachrichten der vergangenen Jahre sie in eine so extreme Abwehrhaltung hineingetrieben, dass sie glauben, sie müssten das System, das versagt hat, vergöttern, sonst sei es endgültig dem Untergang geweiht.
Das Streben nach dem wahren Kapitalismus
Im Jahre 1936 staunte der Kulturkritiker Gilbert Seldes über das »geradezu krankhafte Faible für das Absolute«, das seine Landsleute erfasst hatte. Puristen jeglicher politischer Couleur waren damals tonangebend, und keinem von ihnen gefiel, was Franklin Delano Roosevelt tat. Den »radikalen Kritikern« ging der New Deal natürlich nicht weit genug, da er das kapitalistische System unangetastet ließ. Die »Reaktionäre« wiederum opponierten aus dem gegenteiligen Grund: weil damit »das kapitalistische System zerstört« würde. [15]
Letztere Sorge geht auch heute wieder im Land um, und Seldes bietet einen hilfreichen Überblick über ihre lange Geschichte. Bereits um 1840 klagte man darüber, dass es den Kapitalismus zerstören werde, wenn man zuließe, dass sich die Arbeitskräfte organisieren, erinnert uns der Autor, und siehe da: Die damalige Form des Kapitalismus verschwand tatsächlich, und an ihre Stelle trat der »durch das Recht auf Tarifverhandlungen modifizierte Kapitalismus«. Laut Seldes kehrten diese Endzeitängste wieder, als die US-Regierung in den 1880er-Jahren drohte, die Eisenbahnunternehmen zu regulieren, und schon war wieder mal Weltuntergang. Der Kapitalismus starb und erstand diesmal als »durch Tarifverhandlungen und staatliche Regulierungen modifizierter Kapitalismus«. [16]
Und das Leben ging weiter.
Auch heute wieder ist, wie schon zu Gilbert Seldes’ Zeiten, die Angst virulent, der wahre Kapitalismus werde verschwinden. Und wie damals scheint es auch heute nur auf das Absolute anzukommen. Die von der Panik Erfassten ignorieren den genialen Pragmatismus der Amerikaner und die lange, verwickelte Geschichte politischer Kompromisse, die unser heutiges
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