Auch dein Tod ändert nichts (German Edition)
1
Ich kann mich nicht entscheiden, was ich mit deiner Asche machen soll. Es ist jetzt beinahe ein Jahr her. Fast schon wieder Sommer. Die Urne steht vor mir auf dem Tisch. Braunes Plastik. Referenznummer, Datum und dein Name sind auf ein Klebe-Etikett gekritzelt:
Robert Julian Maguire
Das Etikett ist schwarz umrandet und fängt an, sich an den Ecken zu lösen. Ich streiche über den Aufkleber und versuche, ihn wieder festzudrücken. Er ist von irgendjemandem, dem der Inhalt ziemlich egal war, schief aufgeklatscht worden. Es gibt alle möglichen Arten von Urnen: aus Messing, Kupfer, Zinn und Keramik, einen Holzkasten verziert mit Schnitzereien, doch die haben ihren Preis, und es muss einem wichtig genug sein, um so eine Urne zu bestellen und zu bezahlen. Deine ist das moderne Gegenstück zu einem Armengrab.
Ich bin zu den Bestattungen gegangen. Eine nach der anderen wurde durchgezogen. Das war vermutlich keine Absicht, dochan diesem Tag hatte das Krematorium viel zu tun. Deine war die zweite. Sie glich in keiner Weise der ersten. Keine Trauerreden, keine weinenden Klassenkameraden mit Blumen für den Sarg, die schluchzend blödsinnige selbst gemachte Verse vortrugen. Keine schwarzen, handbedruckten Karten an den Blumen:
Ruhe in Frieden
,
Auf Wiedersehen im Himmel
oder
Du bist gegangen, aber nicht vergessen
. Überhaupt keine Blumen. Es war auch kaum jemand da. So wenige, dass es gerade noch anständig war. Polizei und die nächsten Angehörigen. Einige von deinen Kumpels, aber nicht viele. Nur Bryn und ein paar andere. Sie trugen Uniform.
Der Priester schwitzte. Ständig wischte er sich die Stirn mit einem großen weißen Taschentuch, stolperte über seine Worte, die er mühsam zusammensuchte, bis es so weit war, die Rollen in Bewegung zu setzen. Du hättest dich schwarz geärgert. Niemand sang die Hymne, es wurde nur eine blecherne Aufzeichnung abgespielt. Niemand weinte oder sah auch nur traurig aus. Die Versammlung wirkte eher erleichtert, als sich dein Sarg in Bewegung setzte, als wäre es kein Toter auf dem Weg in den Ofen, sondern ein gefährliches biologisches Risiko. Sie konnten es kaum abwarten, endlich wieder gehen zu können.
Ich bin dann hingegangen, um deine Asche abzuholen. Deshalb habe ich sie jetzt hier bei mir. Mum gefällt das nicht. Ständig spricht sie davon, sie zu ›entsorgen‹, und davon, die Sache zu einem Ende zu bringen. Dich hier zu behalten wäre morbid und wahrscheinlich ungesund. Ich finde das nicht. Die Morgans hatten ihren Großvater über viele Jahre auf dem Kaminsims stehen. Sie möchte die Asche loswerden, doch was soll mit ihr passieren? Du warst mein Bruder. Mum braucht ja nicht hier reinzukommen.Sie sagt, es würde deine Schwester durcheinanderbringen. Ich weiß genau, dass es Martha scheißegal ist. Außerdem ist sie ja nicht einmal hier, also was geht das sie an?
Ich kann Mums Sicht der Dinge schon verstehen. Was du gemacht hast, war ganz schön destruktiv. Ich musste die Schule wechseln. Ich konnte schließlich nicht dahin zurückgehen, oder? Mum wollte umziehen. In eine andere Stadt. Sie wollte einen neuen Anfang. Du hast hier alles vergiftet. Letzten Endes haben wir es nicht gemacht. Wir mussten Großvater übersiedeln. Nicht dass er das bemerkt hätte. Er lebt immer noch, mehr oder weniger, doch Alzheimer wird halt nicht besser.
Aber daran lag es auch nicht. Was passiert ist, hat sie verändert. Manchmal gibt sie sich die Schuld. Irgendwie muss es ihr Fehler gewesen sein, denkt sie dann. Wenn sie nur dies oder das gemacht hätte, dann wäre es nicht passiert. Oft sitzt sie einfach nur da und denkt darüber nach. In diesem Zustand ist sie irgendwie anwesend und doch abwesend. Danach wird sie schrecklich wütend. Hauptsächlich auf dich.
Wenn wir dich loswürden, könnten wir die Dinge vielleicht wirklich beenden, meint sie, doch ich glaube das nicht. Das braune Plastikding hält dich irgendwie in Schach. Ohne diese Urne könntest du überall sein – wie ein Geist. Du verdienst es nicht, jetzt schon befreit zu werden. Ich werde Ort und Zeit bestimmen. Es kann morgen sein, es kann aber auch noch Jahre dauern. Und bis der Tag kommt, bleibst du genau hier stehen, bei mir.
Doch das ist keine Absolution. Glaub das bloß nicht.
2
Drüben in Afghanistan geben eine Menge Jungs schnell noch irgendeine Stellungnahme ab, bevor sie einen Einsatz haben, besonders wenn die Möglichkeit besteht, dass sie nicht zurückkommen. Sie schreiben eine E-Mail , einen Brief oder ein
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