Arschloch!
vorherzusehen, macht er heute mal wieder den Schneepflug. Bei Tiefschnee.
„Danke, danke, coole Sache!“
„Ich habe meinen Film dabei!“, sage ich.
„Du hast deinen Film dabei? Hast du ihn endlich fertig? Ja wunderbar. Dann zeigen wir ihn nach meiner Rede.“
„Super!“
Mein Chef klopft mir mehrmals energisch auf die Schulter und führt mich zu einem der freien Plätze. Währenddessen schreit er immer wieder: „Guter Mann, guter Mann!“.
Ich bestelle mir bei der Kellnerin, die irgendetwas von Morticia Addams hat, ein Bier und setze mich neben Michael.
Nach und nach treffen die restlichen Mitarbeiter ein. Alle werden auf die gleiche Art und Weise von meinem Chef begrüßt. Es kommt mir vor, als hätte er seinen Text und seine Gesten vor dem Spiegel einstudiert. Alles erfolgt in derselben Reihenfolge: Händeschütteln, Verbeugen, Regeln erläutern. Einzige Ausnahme: Yasmin. Ihr reicht er nicht die Hand, sondern klopft ihr auf den Arsch. Aber das würde ich auch machen. Als alle anwesend sind, verschwindet mein Chef gemeinsam mit ihr kurz auf Toilette, auf der es drei Möglichkeiten gibt: Koksen oder Ficken oder Koksen und Ficken.
Um kurz nach neun beginnt der Vortrag des Chefs. Er steht mit einem Funkmikrophon in der Hand vor uns und unser Beamer, den wir für unsere Schulungen benutzen, projiziert Fotos der einzelnen Karrierestationen an die weiße, ausrollbare Leinwand. Die Geschichten, die er auf dem Sommerfest bereits erzählt hat, wurden von der Graphikabteilung mit Bildern unterlegt. Die Anfangsjahre in Schwarzweißbildern. Um einen nostalgischen Touch mit hineinzubringen. Erst nach ein paar kurzen Anekdoten kommt ein wenig Farbe ins Spiel und auf die Leinwand. Und kurz nach Einführung der Farbe sind wir auch schon wieder in der Gegenwart. Dem Geschäftsjahr 2005, das retrospektiv betrachtet wird. Für jeden Monat gibt es ein besonderes Ereignis. Jedes Mal wird laut gejubelt, geklatscht, gelacht oder gepfiffen. Die Stimmung wird immer ausgelassener. Die meisten Anwesenden haben schon früh mit dem Saufen begonnen. Da war ich noch mit dem Brennen meines Films beschäftigt.
Ganz am Ende erwähnt mein Chef, dass 2005 das bisher erfolgreichste Jahr der Firmengeschichte war und 98,2% aller Kunden - bei Ebay sind es sogar 99,9% - mit unserem Service zufrieden waren. Mit dem Satz >Ich bin stolz auf euch! < beendet er seine Rede und es kommt zu einer unangenehmen Rückkopplung, die wie ein Messer in den Ohren sticht. Er dreht die Lautstärke ein wenig runter, aber dann hat er auch nichts mehr zu sagen und wir klatschen, jubeln, grölen und pfeifen. Minutenlang. Als wieder ein wenig Ruhe eingekehrt ist, stehe ich von meinem Sitzplatz auf und gehe klatschend auf meinem Chef zu, der mich gleich ankündigt.
„Moritz hat seinen Film fertig und wird ihn jetzt präsentieren. Ich bitte um einen Applaus für Moritz!“
Ich reiche meinem Chef die DVD, er legt sie in den Laptop, bittet die Anwesenden um Ruhe und startet meinen Film per Doppelklick. Es dauert ein paar Sekunden, dann beginnt die Filmpremiere. Die erste Szene ist dieses typische Runterzählen, das man von alten Schwarzweißfilmen kennt. 3,2,1. Fast wie bei Ebay. Nur das einem dann nichts gehört. Dann folgen die Szenen, die zeigen, wie einzigartig das Arbeitsklima innerhalb des Unternehmens ist. Häufig wird gelacht. Meistens sind es dann auch die Leute, die in den Szenen vorkommen. Ach, weißt du noch? Das war lustig. Oh Mann, sehe ich dort scheiße aus. Und achte mal auf Melanie und ihren dicken Arsch. Als letzte Szene habe ich Thomas Aprilscherz reingeschnitten. Die komplette Szene, die er mir gleich nach seiner Verarsche geschenkt hat. Manche lachen laut, als sie sehen, wie er mich verarscht hat. Auch ich finde es amüsant. So retrospektiv betrachtet, war das echt lustig mit ihm. Während der Abspann läuft, bei dem der Kopierer im Einsatz zu sehen ist, wird immer wieder ein Ausdruck mit meinem Namen gezeigt. Über den Beamer, so groß, kommt das richtig cool.
Kamera: Moritz Becker.
Drehbuch: Moritz Becker.
Regie und Produktion: Moritz Becker a.k.a. Private Lift
Alle Mitarbeiter applaudieren. Michael will den Film noch einmal sehen, weil er ihn so geil fand und schreit ständig „Zugabe! Zugabe! Zugabe!“ Es gibt Standing Ovations für mich und mein Werk, es wird gepfiffen und als ich die DVD aus dem Laptop nehme, gratuliert mir mein Chef.
„Moritz, das war wirklich super!“
Er reicht mir seine Hand.
„Danke!“
„Wir müssen
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