Arthur & George
ihrem Sohn Oscar Arthur und ihrem Leben in Kensington West beschäftigt. Arthur versichert allen, Touie werde um jeden Preis vor Wissen, Schmerz und Schande bewahrt werden.
Hochgesinnte Erklärungen sind das eine, die alltägliche Realität das andere. Trotz der Billigung ihrer Familien verfallen Arthur wie auch Jean immer wieder in Trübsinn; Jean neigt außerdem zu Migräneanfällen. Beide fühlen sich schuldig, weil sie sich gegenseitig in eine unmögliche Lage gebracht haben. Die Ehre mag, wie die Tugend, ihren Lohn in sich selbst tragen, doch manchmal ist das nicht genug. Auf jeden Fall kann sie ebenso tiefe Verzweiflung wie frohe Hochstimmung auslösen. Arthur verordnet sich die gesammelten Werke von Ernest Renan. Fleißige Lektüre und viel Golf und Cricket bringen einen Mann zur Vernunft und halten Körper und Geist gesund.
Doch irgendwann sind auch diese Mittel erschöpft. Man kann die gegnerischen Werfer in alle Richtungen treiben und dann den Schlagmann direkt in die Rippen treffen; man kann einen Driver nehmen und den Golfball in unendliche Weiten schlagen. Man kann seine Gedanken nicht ewig in Schach halten; die immergleichen Gedanken und immergleichen widerwärtigen Paradoxien. Ein aktiver Mann, zum Nichtstun verurteilt; Liebende, die nicht lieben dürfen; ein Tod, den man fürchtet und aus Scham nicht herbeirufen mag.
Die Cricketsaison ist für Arthur bislang gut verlaufen; der Mama wird mit kindlichem Stolz berichtet, wie viel Punkte erzielt und wie viel Wickets getroffen wurden. Dafür lässt sie ihn weiterhin an ihren Ansichten teilhaben: über die Dreyfus-Affäre, über die selbstherrlichen und bigotten Pfaffen im Vatikan, über die abscheuliche Einstellung der Daily Mail , dieser grässlichen Zeitung, zu Frankreich. Eines Tages spielt Arthur auf dem Lord’s Cricket Ground für den Marylebone Cricket Club. Er lädt Jean zum Zuschauen ein, und als er zum Batten herauskommt, weiß er genau, wo sie auf Tribüne A sitzen wird. An diesem Tag können ihm die Werfer nichts anhaben; sein Wicket ist unangreifbar, und er nimmt kaum wahr, mit welcher Wucht er den Ball über das Feld drischt. Ein, zwei Mal schlägt er den Ball direkt in die Zuschauermenge und kann sogar noch dafür Sorge tragen, dass er nicht etwa wie eine Granate neben Jean einschlägt. Arthur ist für seine Dame ins Turnier gezogen; er hätte sie um ein Tüchlein als Unterpfand ihrer Gunst bitten und es sich anstecken sollen.
Zwischen den Innings geht er zu ihr. Er braucht keine lobenden Worte – er sieht den Stolz in ihren Augen. Sie muss sich nach dem langen Sitzen auf einer Lattenbank ein wenig Bewegung verschaffen. Sie schlendern hinter den Tribünen um den Platz; Bierschwaden ziehen durch die heiße Luft. In so einer anonymen Menge von Müßiggängern fühlen sie sich eher zu zweit allein als unter den noch so freundlichen Augen einer Anstandsdame bei einer Tischgesellschaft. Sie reden miteinander, als hätten sie sich eben erst kennengelernt. Arthur sagt ihr, wie gern er sich ein Tüchlein von ihr angesteckt hätte. Sie hakt sich bei ihm ein, und sie gehen schweigend weiter, in ihr Glück vertieft.
»Hallo, da kommen Willie und Connie.«
Und wirklich, da kommen sie ihnen entgegen, gleichfalls Arm in Arm. Klein-Oscar haben sie wohl bei dem Kindermädchen in Kensington gelassen. Jetzt ist Arthur noch stolzer auf seine Leistung am Bat. Dann fällt ihm etwas auf. Willie und Connie machen keinerlei Anstalten stehen zu bleiben, und Connie schaut weg, als wäre die Rückseite des Pavillons auf einmal ungeheuer interessant. Willie tut wenigstens nicht so, als wären sie Luft; doch als die Paare aneinander vorbeigehen, zieht er eine Augenbraue hoch und sieht seinen Schwager, Jean und ihre eingehakten Arme missbilligend an.
Nach dem ersten Innings ist Arthurs Bowling noch schneller und ungestümer als sonst. Dank eines übereifrigen Schlags bei einem seiner langsamen Bälle nimmt er wenigstens ein Wicket. Als er in die Tiefe des Felds geschickt wird, dreht er sich immer wieder um und hält Ausschau nach Jean, aber sie muss sich umgesetzt haben. Auch Willie und Connie kann er nicht entdecken. Seine unpräzisen Würfe treiben den Wicketkeeper noch mehr zur Weißglut als sonst und lassen ihn schier verzweifeln.
Später stellt sich heraus, dass Jean gegangen ist. Jetzt tobt er vor Zorn. Am liebsten wäre er mit einer Droschke direkt zu ihrer Wohnung gefahren, hätte Jean auf den Bürgersteig hinausgeführt, sich bei ihr untergehakt und
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