Arthur & George
an denselben Finger. Es ist ein heller Cabochon-Saphir, der einst ihrer Großtante gehörte.
Jean schaut ihn an, dreht die Hand hin und her und nimmt ihn sofort wieder ab. »Ich kann keinen Schmuck annehmen, der Ihrer Familie gehört.«
»Meine Großtante hat ihn mir geschenkt, weil sie meinte, die Farbe passe zu mir. Damals stimmte das auch, aber jetzt nicht mehr. Sie passt besser zu Ihnen. Und in meinen Augen gehören Sie zur Familie. Schon seit dem Tag, an dem ich Sie kennengelernt habe.«
Jean kann der Mama nichts abschlagen; die wenigsten können das. Als Arthur eintrifft, lässt er sich theatralisch Zeit, bis er den Ring bemerkt; am Ende macht man ihn darauf aufmerksam. Selbst dann verbirgt er noch seine Freude und sagt, der Ring sei nicht sehr groß, was den Frauen Gelegenheit gibt, sich über ihn lustig zu machen. Nun trägt Jean nicht Arthurs Ring, sondern einen Doyle-Ring, und das ist ebenso gut; vielleicht sogar besser. Er stellt sich vor, wie er ihn auf dem Tuch eines gedeckten Tischs und über den Tasten eines Klaviers sieht, auf der Lehne eines Theatersessels und den Zügeln eines Pferdes. Für ihn ist er ein Symbol dessen, was Jean an ihn bindet. Seine mystische Ehefrau.
Zwei fromme Lügen sind einem Gentleman erlaubt: um eine Frau zu beschützen und um einen Kampf aufzunehmen, wenn es ein gerechter Kampf ist. Arthur erzählt Touie sehr viel mehr fromme Lügen, als er je gedacht hätte. Zunächst hatte er angenommen, dass es bei seinem Leben und Treiben, seinen Unternehmungen und Liebhabereien, seinen sportlichen Betätigungen und Reisen nicht nötig wäre, ihr Lügen zu erzählen. Jean werde in den Lücken seines Terminkalenders verschwinden. Doch da sie nicht aus seinem Herzen verschwinden kann, kann sie ebenso wenig aus seinen Gedanken und seinem Gewissen verschwinden. Und so merkt er, dass jedes Zusammensein, jeder Plan, jedes Kärtchen und jeder Brief an sie, jeder Gedanke an sie mit Lügen dieser oder jener Art einhergeht. Meist sind das passive Lügen; manchmal jedoch zwangsläufig auch aktive Lügen; auf jeden Fall Lügen, allesamt. Und Touie vertraut ihm so ungemein; sie nimmt Arthurs jähe Sinnesänderungen, seine plötzlichen Eingebungen, seine Entscheidungen zum Bleiben oder Gehen hin wie eh und je. Arthur weiß, dass sie vollkommen arglos ist, und das zerrt umso mehr an seinen Nerven. Er kann sich nicht vorstellen, wie Ehebrecher mit ihrem Gewissen leben können, wie primitiv ihre Moral sein muss, damit sie auch nur die notwendigen Lügen ertragen.
Doch außer den praktischen Schwierigkeiten, dem ethischen Dilemma und der sexuellen Frustration ist da noch etwas Dunkleres, dem man sich nicht so direkt stellen kann. Alle Schlüsselmomente in Arthurs Leben waren vom Tod überschattet, und das ist hier wieder so. Die plötzliche, wundersame Liebe, die ihm begegnet ist, kann sich erst mit Touies Tod erfüllen und der Welt offenbaren. Touie wird sterben; das weiß er, und Jean weiß es auch; die Schwindsucht holt sich ihre Opfer immer. Doch Arthurs Entschlossenheit, gegen den Teufel zu kämpfen, hat zu einem Waffenstillstand geführt. Touies Zustand ist stabil; sie braucht nicht einmal mehr die reinigende Luft von Davos. Sie lebt zufrieden in Hindhead, dankbar für alles, was sie hat, und strahlt den sanften Optimismus der Schwindsüchtigen aus. Er kann ihren Tod nicht wünschen; ebenso wenig kann er wünschen, dass Jeans unmögliche Situation ewig dauert. Wenn er an eine der bestehenden Religionen glaubte, würde er sicher alles in Gottes Hand legen; doch das ist ihm nicht möglich. Touie muss weiterhin die beste medizinische Versorgung und zu Hause die tatkräftigste Unterstützung bekommen, auf dass Jeans Leiden so lange wie möglich andauert. Wenn er irgendetwas unternimmt, ist er ein Scheusal. Wenn er Touie alles erzählt, ist er ein Scheusal. Wenn er sich von Jean trennt, ist er ein Scheusal. Wenn er sie zu seiner Geliebten macht, ist er ein Scheusal. Wenn er nichts tut, ist er nur ein passives, heuchlerisches Scheusal, das sich vergeblich an so viel Ehre klammert, wie es eben geht.
Doch langsam und vorsichtig wird die Beziehung öffentlich gemacht. Jean wird Lottie vorgestellt. Arthur wird Jeans Eltern vorgestellt, die ihm zu Weihnachten eine mit Perlen und Diamanten verzierte Krawattennadel schenken. Jean wird sogar Touies Mutter, Mrs Hawkins, vorgestellt, und sie akzeptiert die Beziehung. Auch Connie und Hornung werden davon informiert, doch sie sind inzwischen sehr mit ihrer Ehe,
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