Arthur & George
Kirche, und eine Kirche bedeutet Religion. Die Mama hat Arthur katholisch erzogen, doch seither sind beide von diesem Glauben abgefallen: die Mama zugunsten der anglikanischen Kirche, Arthur zugunsten des sonntäglichen Golfspiels. Inzwischen hält Arthur sogar seinen zweiten Vornamen, Ignatius, geheim. Es besteht also wenig Aussicht, dass sie, von der Wiege an Katholikin, als solche heiratet. Das wird ihre Eltern, vor allem ihre Mutter, wahrscheinlich betrüben; doch wenn das der Preis ist, wird Jean ihn zahlen.
Ob sie noch einen weiteren Preis zahlen muss? Wenn sie Arthur in allem zur Seite stehen will, dann muss sie dem ins Auge sehen, wovor sie bislang davongelaufen ist. Bei den seltenen Gelegenheiten, wo Arthur von seinem Interesse für das Übersinnliche sprach, hat sie sich abgewandt. Im Innern schaudert es sie vor dem Vulgären und Stumpfsinnigen jener Welt: vor törichten alten Männern, die angeblich in Trance fallen, vor alten Weibern mit grässlichen Perücken, die in Kristallkugeln starren, vor Leuten, die sich im Dunkeln an den Händen halten und einander zum Hüpfen bringen. Und es hat überhaupt nichts mit Religion, das heißt mit Moral zu tun. Und die Vorstellung, dass ihr geliebter Arthur an diesem … Mumpitz Gefallen findet, ist zugleich verstörend und kaum zu glauben. Wie kann jemand wie Arthur mit seiner hervorragenden Urteilskraft sich nur mit solchen Leuten abgeben?
Zwar ist ihre Busenfreundin Lily Loder-Symonds eine begeisterte Tischrückerin, doch das ist für Jean nur eine überspannte Laune. Sie geht Gesprächen über Séancen aus dem Weg, auch wenn Lily ihr versichert, es gebe dort viele angesehene Leute. Vielleicht sollte sie die Angelegenheit zunächst mit Lily besprechen, um so ihre Abneigung zu überwinden. Nein, das wäre kleinmütig. Schließlich heiratet sie Arthur, nicht Lily.
Daher lässt sie ihn, als er sie auf dem Weg nach Norden besucht, Platz nehmen, hört sich gehorsam die Neuigkeiten von den Ermittlungen an und sagt dann zu seinem sichtlichen Erstaunen: »Ich würde diesen jungen Mann sehr gern kennenlernen.«
»Ach ja, mein Liebling? Er ist ein hochanständiger Bursche, der übel verleumdet wurde. Er würde sich bestimmt freuen und sehr geehrt fühlen.«
»Sagtest du nicht, er ist Parse?«
»Nun ja, nicht direkt. Sein Vater …«
»An was glauben Parsen, Arthur? Sind das Hindus?«
»Nein, sie sind Zoroastrier.« Arthur liebt solche Fragen. Das grundlegende Mysterium der Frauen wird, so meint er, eingekreist und in Schach gehalten, solange er ihnen etwas erklären darf. Mit ruhigem Selbstvertrauen schildert er die historischen Ursprünge der Parsen, ihr typisches Erscheinungsbild, ihre Kopfbedeckungen, ihre liberale Einstellung zu Frauen, ihre Tradition, dass Geburten stets im Erdgeschoss des Hauses stattfinden. Er übergeht die Reinigungszeremonie, da sie eine Waschung mit dem Urin von Kühen einschließt, spricht aber ausführlich von der zentralen Stellung der Astrologie im parsischen Leben und will sich eben den Türmen des Schweigens und den postumen Diensten der Geier zuwenden, da hebt Jean die Hand, um ihm Einhalt zu gebieten. Sie merkt, dass es so nicht geht. Die Geschichte des Zoroastrismus trägt nicht zu dem glatten Übergang bei, den sie sich erhofft hat. Es erscheint ihr auch unehrlich, nicht im Einklang mit dem Bild, dass sie von sich hat.
»Arthur, mein Lieber«, unterbricht sie ihn. »Da ist etwas, über das ich mit dir reden möchte.«
Er wirkt überrascht und ein wenig erschrocken. Auch wenn er ihre direkte Art seit jeher schätzt, ist ihm doch ein Rest von Argwohn geblieben – wenn eine Frau sagt, sie müsse über etwas reden, ist das für einen Mann nur selten erfreulich oder vorteilhaft.
»Erkläre mir doch bitte deine Beschäftigung mit dem … heißt es Spiritismus oder Spiritualismus?«
»Ich ziehe die Bezeichnung Spiritismus vor, sie scheint aber immer mehr außer Gebrauch zu kommen. Doch ich dachte, dir missfällt der bloße Gedanke.« Er meint mehr als das: dass sie den bloßen Gedanken fürchtet und verachtet – und seine Anhänger erst recht.
»Arthur, mir kann nichts missfallen, was dich interessiert.« Sie meint weniger als das: dass sie hofft, ihr könne nichts missfallen, was ihn interessiert.
Und so beginnt er seine Beschäftigung zu erläutern, von Experimenten der Gedankenübertragung mit dem späteren Architekten von Undershaw bis zu Gesprächen mit Sir Oliver Lodge im Buckingham Palace. Dabei hebt er ständig die
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