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Arthur & George

Arthur & George

Titel: Arthur & George Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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wissenschaftlichen Ursprünge und Verfahren der übersinnlichen Forschung hervor. Er geht sehr behutsam vor und stellt alles so seriös und so wenig bedrohlich dar, wie er nur kann. Sein Tonfall wie auch seine Worte beruhigen sie ein wenig.
    »Arthur, Lily hat mir ja schon vom Tischrücken erzählt, aber ich habe das wohl immer für etwas gehalten, das zu den Lehren der Kirche im Widerspruch steht. Ist es denn keine Häresie?«
    »Es steht im Widerspruch zu den Institutionen der Kirche, das ist wahr. Nicht zuletzt, weil es den Mittelsmann ausschließt.«
    »Arthur! So redet man doch nicht über den Klerus.«
    »Aber historisch gesehen stimmt es. Die Geistlichen waren Mittelsmänner, Zwischenträger. Anfangs Überbringer der Wahrheit, aber dann zunehmend Kontrolleure der Wahrheit, Verschleierer, Politiker. Die Katharer waren auf der richtigen Spur, der des direkten Zugangs zu Gott ohne die Hindernisse der verschiedenen Hierarchie-Ebenen. Rom hat die Katharer natürlich vernichtet.«
    »Dann machen dich deine – soll ich sie Anschauungen nennen? – also zum Gegner meiner Kirche?« Und damit, meint sie, zum Gegner aller Mitglieder dieser Kirche. Eines bestimmten Mitglieds dieser Kirche.
    »Nein, meine Liebste. Und ich würde dich nie davon abhalten wollen, in deine Kirche zu gehen. Doch wir bewegen uns in eine Richtung, die über alle Religionen hinausgeht. Sie werden bald – historisch gesehen sehr bald – der Vergangenheit angehören. Sieh es einmal so. Ist die Religion die einzige Sphäre des Geistes, die keine Entwicklung kennt? Wäre das nicht seltsam? Sollen wir uns für ewige Zeiten an Richtlinien halten müssen, die vor zweitausend Jahren aufgestellt wurden? Ist es nicht einleuchtend, dass die Evolution des menschlichen Gehirns mit einer Erweiterung des Horizonts einhergehen muss? Ein halb entwickeltes Gehirn schafft sich einen halb entwickelten Gott, und wer sagt denn, dass unser Gehirn bislang auch nur halb entwickelt ist?«
    Jean schweigt. Sie denkt, dass die vor zweitausend Jahren aufgestellten Richtlinien wahr sind und befolgt werden sollten; und dass sich das Gehirn zwar entwickeln und alle möglichen wissenschaftlichen Fortschritte hervorbringen mag, die Seele aber der Funke des Göttlichen ist und etwas ganz Eigenes und Unveränderliches und keiner Evolution unterworfen.
    »Weißt du noch, dass ich einmal Preisrichter bei einem Körper-Wettbewerb war? In der Albert Hall? Der Sieger hieß Murray. Ich bin ihm in die Nacht hinaus gefolgt. Er hatte eine goldene Statue unter dem Arm, er war der stärkste Mann Großbritanniens. Und doch war er im Nebel verloren …«
    Nein, eine Metapher ist nicht der richtige Ansatz. Metaphern sind etwas für die institutionalisierten Religionen. Metaphern sprechen mit gespaltener Zunge.
    »Wir machen etwas ganz Einfaches, Jean. Wir nehmen die Essenz der großen Religionen, und das ist der lebendige Geist, und machen ihn sichtbarer und damit verständlicher.«
    Das klingt für sie wie die Stimme eines Versuchers, und ihre Antwort ist knapp und scharf. »Durch Séancen und Tischrücken?«
    »Auf Außenstehende wirkt das merkwürdig, das gebe ich gern zu. Genau wie die Zeremonien deiner Kirche für einen zoroastrischen Besucher merkwürdig aussähen. Leib und Blut Christi auf einem Teller und in einem Becher – das könnte er für reinen Hokuspokus halten. Die Religionen – alle Religionen – stecken in einem Morast von Ritualen und Despotie fest. Wir sagen nicht, kommt und betet in unserer Kirche und folgt unseren Anweisungen, und vielleicht werdet ihr eines Tages im Jenseits dafür belohnt. Das ist wie der Schacher von Teppichhändlern. Nein, wir demonstrieren euch jetzt, da ihr am Leben seid, die Realität gewisser übersinnlicher Phänomene, und das beweist euch die körperliche Aufhebung des Todes.«
    »Du glaubst also nicht an die Wiederauferstehung des Leibes?«
    »Dass wir in die Erde kommen und verwesen und irgendwann später wieder ganz zusammengesetzt werden? Nein. Der Leib ist eine bloße Hülle, ein Behältnis, das wir abwerfen. Es ist wahr, einige Seelen wandern nach dem Tode eine Zeitlang im Dunkeln, aber nur, weil sie nicht für den Übergang auf die andere Seite gerüstet sind. Ein wahrer Spiritist, der den Vorgang begreift, wird leicht und ohne Qualen hinübergehen. Und auch schneller mit der Welt, die er hinter sich gelassen hat, kommunizieren können.«
    »Hast du das schon erlebt?«
    »O ja. Und ich hoffe, es immer häufiger zu erleben, wenn ich mehr

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