Artikel 5
Kammer. Klick.
Tucker wurde unsicher. Scharlachrote Flecken zierten sein Gesicht, und sein Mund sah verkniffen aus. Immer noch stürmten die Bilder auf mich ein. Tucker, wie er die Waffe hob. Das Geräusch, das sie gemacht haben musste, als er gefeuert hatte. Die Furcht in ihren Augen. Der Tod in ihren Augen.
»Em«, flüsterte Chase. Ich hörte ihn kaum.
Sie aber sah ich. Sie und ihr schelmisches Lächeln. Die Klammern in ihren Haaren. Sie sang Lieder aus der Zeit vor dem Krieg, und wir tanzten im Wohnzimmer. Sie kochte mir heiße Schokolade. Sie gab ihren Platz in der Reihe der Wartenden in der Suppenküche ab.
Sie hatte Chase die Revision vergeben. Gott sei Dank, dass du hier bist , hatte sie in der Zelle zu ihm gesagt. Sie hatte Roy vergeben, dass er ihr wehgetan hatte. Mir, dass ich ihn vertrieben hatte. Und Tuckers Verderbtheit würde sie ganz einfach der MM anlasten.
Und sie würde sich für mich schämen, sollte ich ihn töten. Allein aus diesem Grund konnte ich ihm nicht das Leben nehmen.
Aber ich hätte es gern getan.
Chase musterte mich immer noch aufmerksam, und in seinen Augen spiegelte sich Verständnis. Ich wusste, er würde mich unterstützen, ganz gleich, wie ich mich entschied.
»Nimm ihr die Waffe ab, Mann«, fuhr Tucker Chase an. Er versuchte, die alte Freundschaft wiederzubeleben. Seine Worte rissen mich zurück in die Wirklichkeit.
»Wenn ich das tue, erschieße ich dich persönlich«, entgegnete Chase finster, und ich wusste, würde ich ihn darum bitten, Chase würde Tucker umbringen. Ein Teil von mir wollte, dass er es tat, ein Teil von mir brauchte es. Doch ich konzentrierte mich auf das Gesicht meiner Mutter. Sie hatte auch Chase geliebt, und sie hätte nicht gewollt, dass seine Seele noch schlimmer beschädigt wurde, als sie es bereits war.
Tucker trat von einem Fuß auf den anderen. »Denk mal darüber nach, was das für dich bedeutet. Du wirst immer auf der Flucht sein.« Furcht schlug sich auf seine Stimme nieder.
»Ich habe darüber nachgedacht.« Letzte Chance, erinnerte ich mich, aber ich hatte bereits einen Entschluss gefasst. »Wir gehen, Tucker. Hauen Sie ab. Oder ich werde Sie erschießen.«
Ich ignorierte den hämmernden Puls in meiner Schläfe. In mir war keine Furcht mehr, kein Zorn. Selbst die Trauer war nun fort. Mein ganzer Körper war nur auf diese eine Aufgabe fixiert: für unsere Sicherheit zu sorgen.
Wie sehr ich Chase doch ähnlich geworden war.
»Und was soll ich meinen Vorgesetzten erzählen?«, fragte Tucker mit brechender Stimme.
»Sie werden ihnen sagen, Chase wäre tot. Er ist schon vor dem Prozess gestorben. Sein Fall ist ›abgeschlossen‹. Sie werden ihnen sagen, er wäre zum Krematorium gebracht worden. Und Sie werden ihnen erzählen, dass ich Delilah den Schlüssel mit Gewalt abgenommen habe, und als sie Ihnen das gestanden hat, haben Sie meinen Fall auch ›abgeschlossen‹.«
Gestern hatte Delilah mir noch leidgetan, weil Tucker sie durch Drohungen zum Schweigen genötigt hatte. Heute baute ich genau darauf. Und ich hoffte, das würde dieser traurigen alten Frau das Schicksal ersparen, das meine Mutter ereilt hatte.
»Und wenn ich Nein sage?«
»Sie können Ihnen natürlich auch erzählen, dass zwei Kriminelle während Ihres Diensts geflohen sind, direkt vor Ihrer Nase. Allerdings bezweifle ich, dass das sehr vorteilhaft für Ihre weitere Karriere wäre.«
Einige Herzschläge herrschte Schweigen.
Schließlich fluchte Tucker.
»Also gut. In Ordnung. «
Etwas barst in meinem Inneren, und ich wusste, dass ich kurz davor stand, zusammenzubrechen.
Reiß dich zusammen!
»Gib mir meine Waffe zurück, sonst bekomme ich Ärger.« Tucker streckte die Hand aus.
»So dämlich bin ich nicht. Sie gehen runter zur Wachstube. Sobald ich Sie dort sehe, werde ich sie den Hügel runter in das Gebüsch dort werfen. Ich hoffe, Sie finden sie wieder.«
»Und was sollte mich davon abhalten, auf euch zu schießen, wenn ich sie gefunden habe?«
»Sie wird nicht geladen sein. Sie können natürlich die Wachen um Munition bitten, aber dann müssen Sie eine ziemlich wüste Erklärung abliefern. Ich empfehle Ihnen, sie erst später zu holen.«
Er trat auf den Boden ein und nickte schließlich. »Verschwindet.«
Ich holte tief Luft.
»Und schießt mir nicht in den Rücken«, fügte er voller Widerwillen hinzu.
»Ich kann nichts versprechen.«
Tucker machte kehrt und stolzierte den Hügel hinunter.
Die Waffe in meiner Hand wurde plötzlich schwerer, so
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