Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
werden ihm diese Hinweise nützen? Eure Religion ist vor langer Zeit gestorben, als die Römer Ynys Mon verwüsteten, und alles, was euch bleibt, sind unzusammenhängende Bruchstücke. Eure Götter sind verschwunden.«
»Nein!« widersprach ich, weil ich an Nimue dachte, die ihre Gegenwart spürte, obwohl die Götter für mich schon immer fern und schattenhaft gewesen waren. Bel war für mich wie Merlin, nur weiter weg und unbeschreiblich groß und weitaus geheimnisvoller. Bel, meinte ich, müsse irgendwo im fernen Norden leben, während Manawydan im Westen leben mußte, wo die Wasser endlos abstürzten.
»Die alten Götter gibt es nicht mehr«, behauptete Galahad abermals. »Sie haben uns verlassen, weil wir ihrer nicht würdig waren.«
»Arthur ist ihrer würdig«, erklärte ich trotzig, »und du auch.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein Sünder, Derfel, so niedrig, daß ich mich winde wie ein Wurm.«
Ich lachte über seinen bekümmerten Tonfall. »Unsinn!« sagte ich.
»Ich töte, ich empfinde Begierde und Neid.« Er war aufrichtig betrübt, aber schließlich war Galahad, wie Arthur, ein Mann, der ständig seine eigene Seele erforschte und sie mangelhaft fand, und ich habe noch nie einen derartigen Menschen getroffen, der lange glücklich sein konnte.
»Du tötest nur die Männer, die dich töten wollen«, sagte ich zu seiner Verteidigung.
»Und, Gott helfe mir, es bereitet mir Vergnügen.« Abermals bekreuzigte er sich.
»Gut«, sagte ich. »Und was ist so schlimm daran?«
»Es ist stärker als die Vernunft.«
»Aber du bist vernünftig«, behauptete ich.
»Aber ich empfinde Begierde, Derfel, und wie sehr! Da ist ein Mädchen in Ynys Trebes, eine der Harfenistinnen meines Vaters.« Niedergeschlagen schüttelte er den Kopf.
»Aber du hast deine Begierde unter Kontrolle«, wandte ich ein.
»Also kannst du stolz darauf sein.«
»Ich bin stolz darauf, aber Stolz ist eine weitere Sünde.«
Ich schüttelte den Kopf, weil es so hoffnungslos war, mit ihm zu diskutieren. »Und der Neid?« leitete ich auf die letzte seiner drei Sünden hin. »Wen beneidest du?«
»Lancelot.«
»Lancelot?« Ich war verblüfft.
»Weil er der Edling ist, und nicht ich. Weil er sich nimmt, was er begehrt, wann er es begehrt, und es niemals zu bereuen scheint. Die Harfenistin? Er hat sie sich genommen. Sie schrie, sie wehrte sich, aber niemand wagte ihr zu helfen, weil er Lancelot war.«
»Nicht einmal du?«
»Ich hätte ihn getötet, aber ich war nicht in der Stadt.«
»Hat dein Vater ihm nicht Einhalt geboten?«
»Mein Vater war mit seinen Büchern beschäftigt. Er hat vermutlich gedacht, die Schreie des Mädchens seien Möwen im Seewind oder zwei seiner fili , die sich über eine Metapher streiten.«
Ich spie ins Feuer. »Lancelot ist ein Wurm«, sagte ich.
»Nein«, widersprach Galahad, »er ist ganz einfach Lancelot. Er bekommt, was er will, und er verbringt seine Zeit damit, eifrig zu planen, wie er es bekommen könnte. Er kann überaus liebenswürdig sein, sehr überzeugend, und er könnte sogar ein großartiger König werden.«
»Niemals«, gab ich entschieden zurück.
»Wirklich! Wenn er die Macht begehrt, und das tut er, und sie dann bekommt, vielleicht wäre seine Machtgier dann befriedigt. Er möchte unbedingt beliebt sein.«
»Dann fängt er es aber sehr seltsam an«, sagte ich und dachte daran, wie Lancelot mich an der Tafel seines Vaters provoziert hatte.
»Er wußte von Anfang an, daß du ihn nicht leiden können würdest, deswegen hat er dich herausgefordert. Wenn er sich dich zum Feind macht, kann er sich vormachen, daß du ihn deswegen nicht leiden kannst. Aber zu Menschen, die ihn nicht bedrohen, kann er wirklich sehr freundlich sein. Er könnte ein großartiger König werden.«
»Er ist schwach«, sagte ich verächtlich.
Galahad lächelte. »Starker Derfel. Derfel, der niemals Zweifelnde. Du mußt uns alle für schwach halten.«
»Nein«, sagte ich, »aber ich denke, daß wir alle müde sind und morgen wieder Franken töten müssen. Deswegen werde ich jetzt schlafen.«
Am folgenden Tag töteten wir tatsächlich Franken und ruhten uns anschließend in einer von Bans Hügelfestungen aus, bevor wir mit versorgten Wunden und frisch geschliffenen Schwertern in die Wälder zurückkehrten. Aber Woche um Woche, Monat um Monat fanden die Kämpfe dichter an Ynys Trebes statt. König Ban schickte seinem Nachbarn Budic von Broceliande die Botschaft, er möge bitte Truppen schicken, doch Budic
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