Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
bekam ich Lancelot kein einziges Mal zu Gesicht. Dennoch feierten die Dichter ihn als den Helden von Benoic, den vollkommensten Krieger, den Kämpfer aller Kämpfer. Daß
Benoic gehalten wurde, sagten die Dichter, sei Lancelots Kampfkraft zu verdanken - nicht der meinen, nicht Galahads, nicht Culhwchs, sondern Lancelots. Aber Lancelot verbrachte den Krieg im Bett und befahl seiner Mutter, ihm Wein und Honig zu bringen.
Nein, falsch, nicht nur im Bett. Gelegentlich war Lancelot bei einem Gefecht anwesend, doch immer eine Meile hinter der Kampflinie, so daß er als erster mit der Siegesbotschaft nach Ynys Trebes zurückeilen konnte. Er wußte, wie er einen Mantel zerreißen, einer Schwertschneide Scharten beibringen, seine geölten Haare zerzausen und sich selbst sogar mit Schnitten im Gesicht verletzen mußte, damit er wie ein Held aussah, wenn er keuchend und hinkend nach Hause
zurückkehrte. Dann ließ seine Mutter von den fili ein neues Lied komponieren, damit die Händler und Seeleute dieses Lied nach Britannien bringen konnten und selbst die Bewohner im fernen Rheged, nördlich von Elmet, glaubten, daß Lancelot der neue Arthur sei. Die Sachsen fürchteten ihn, und Arthur übersandte ihm als Geschenk ein besticktes Schwertgehenk mit einer reich verzierten Schnalle.
»Glaubt Ihr, daß das Leben fair sein sollte?« fragte mich Culhwch, als ich mich über das Geschenk beschwerte.
»Nein, Lord«, antwortete ich.
»Dann verschwendet Euren Atem nicht auf Lancelot«, sagte Culhwch. Er war der Befehlshaber der Reiter, die Arthur in Armorica zurückgelassen hatte, als er nach Britannien zog, und Arthurs Cousin, obwohl er keine Ähnlichkeit mit meinem Lord hatte. Culhwch war ein gedrungenes, langarmiges Rauhbein mit wildem Bart, das vom Leben nichts verlangte als eine reichlich bemessene Menge an Feinden, Bier und Frauen. Arthur hatte ihn zum Anführer von dreißig Männern und Pferden ernannt, doch da die Pferde alle tot waren und die Hälfte der Männer nicht mehr lebte, kämpfte Culhwch inzwischen zu Fuß. Ich vereinigte meine Truppe mit der seinen und unterstellte mich damit seinem Befehl. Er konnte es gar nicht erwarten, daß der Krieg in Benoic endlich beendet wurde, damit er wieder an Arthurs Seite kämpfen konnte. Er verehrte und bewunderte Arthur.
Wir führten einen seltsamen Krieg. Als Arthur in Armorica war, hatten die Franken noch einige Meilen weiter östlich gestanden, wo das Gelände eben und baumlos und daher für seine schweren Reiter ideal geeignet war. Nun aber war der Feind tief in die Wälder vorgedrungen, welche die Hügel in Benoics Mitte bedeckten. Genau wie Tewdric von Gwent hatte sich König Ban auf seine Befestigungen verlassen, doch während das Gelände in Gwent für schwere Festungen und hohe Mauern ideal war, boten die Wälder und Hügel von Benoic dem Feind zu viele Pfade, auf denen sie an den Hügelfestungen, die von Bans entmutigten Soldaten besetzt waren, ungesehen vorbeischleichen konnten. Unsere Aufgabe war es, diesen Streitkräften neue Hoffnung zu geben, und das taten wir, indem wir Arthurs persönliche Taktik der Gewaltmärsche und Überraschungsangriffe anwandten. Die bewaldeten Hügel von Benoic waren wie geschaffen für Schlachten dieser Art, und unsere Männer waren
unvergleichlich. Nur wenige Freuden sind mit dem Kampf zu vergleichen, der auf einen gut gewählten Hinterhalt folgt, wenn die feindlichen Truppen weit auseinandergezogen sind und ihre Schwerter in der Scheide stecken. Ich verzierte Hywelbanes lange Klinge mit neuen Narben.
Die Franken fürchteten uns. Sie nannten uns Waldwölfe, und wir übernahmen diese Beleidigung und machten sie zu unserem Symbol. Wir trugen graue Wolfsruten als Helmzier. Wir heulten sogar, um ihnen Angst einzujagen, hinderten sie Nacht um Nacht am Schlafen, schlichen tagelang hinter ihnen her und lockten sie in den Hinterhalt, wann es uns paßte, und nicht, wenn sie dazu bereit waren. Aber der Feinde waren so viele, und wir waren so wenige, und Monat um Monat verringerte sich unsere Zahl.
Galahad kämpfte mit uns. Er war ein großartiger Krieger, aber er war auch ein Gelehrter, der sich in die Bibliothek seines Vaters vertieft hatte. Abends erzählte er uns von alten Göttern, neuen Religionen, fremden Ländern und großen Männern. Ich erinnere mich an eine Nacht, als wir in der Ruine einer Villa kampierten. Eine Woche zuvor noch hatte es dort ein blühendes Gemeinwesen gegeben, mit einer eigenen Walkmühle, einer Töpferei und einer
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