Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
warf, und beide Herren genossen das Ganze sehr. »Euer Vater sagte mir, Ihr und Lancelot seid beide Krieger«, wandte ich mich an Galahad.
»Beide?« Galahad lachte. »Mein lieber Bruder engagiert Dichter und Barden, die ihn in ihren Liedern als größten Krieger Armoricas verherrlichen, aber der Tag muß noch kommen, da ich ihn in einer Schildreihe sehe.«
»Und ich«, entgegnete ich säuerlich, »muß kämpfen, um sein Erbe zu sichern.«
»Das Reich ist verloren«, erklärte Galahad unbekümmert.
»Vater hat das ganze Geld für Bauten und Manuskripte ausgegeben statt für Soldaten, und da wir hier in Ynys Trebes viel zu weit von unserem Volk entfernt sind, fliehen die Leute lieber nach Broceliande, statt bei uns Hilfe zu suchen. Die Franken siegen überall. Eure Aufgabe, Derfel, ist es, am Leben zu bleiben und heil und sicher nach Hause
zurückzukehren.«
Seine Aufrichtigkeit bewirkte, daß ich ihn mit neuem Interesse betrachtete. Er hatte ein breiteres, weniger scharf definiertes Gesicht als sein Bruder, aber ein weit offeneres - die Art Gesicht, die man in einer Schildreihe gern an seiner rechten Seite sieht. Die rechte Seite war diejenige, die vom Schild des Nebenmannes geschützt wurde, daher war es wichtig, daß
man sich mit diesem Mann gut verstand. Und Galahad, das spürte ich gleich, konnte man wirklich gern haben. »Wollt Ihr sagen, daß wir nicht gegen die Franken kämpfen sollten?«
fragte ich ihn leise.
»Ich will sagen, daß der Kampf verloren ist. Aber ja, Ihr seid durch Euren Eid, den Ihr Arthur geleistet habt, zu diesem Kampf verpflichtet, und jeder Moment, den Ynys Trebes noch besteht, ist ein Moment des Lichts in einer dunklen Welt. Ich versuche Vater zu überreden, seine Bibliothek nach Britannien zu senden, aber er würde sich, wie ich glaube, lieber das Herz herausreißen lassen. Sobald es aber soweit ist, wird er sie mit Sicherheit verschiffen lassen. Und nun…« - er stieß seinen vergoldeten Stuhl zurück - »müssen wir aufbrechen. Bevor«, setzte er leise hinzu, »die fili zu rezitieren beginnen. Es sei denn, natürlich, Ihr hättet eine Schwäche für endlose Verse über den Glanz des Mondlichts auf den Schilfufern.«
Ich erhob mich und klopfte mit einem der speziellen Eßmesser auf den Tisch, die König Ban seinen Gästen zur Verfügung stellte. Ebendiese Gäste musterten mich jetzt mißtrauisch.
»Ich muß um Vergebung bitten«, sagte ich, »nicht nur Euch alle, sondern vor allem meinen Lord Lancelot. Ein so großer Krieger wie er verdient einen besseren Tischgenossen. Und nun entschuldigt mich, ich muß schlafen.«
Lancelot reagierte nicht. König Ban lächelte, Königin Elaine zog eine angewiderte Miene, und Galahad führte mich eilig zunächst dorthin, wo meine Kleider und Waffen lagen, und dann zu der mit Fackeln beleuchteten Pier hinab, wo ein Boot wartete, um uns aufs Festland zu bringen. Galahad, noch immer in seiner Toga, trug einen Sack, den er aufs Deck des kleinen Bootes hievte. Dabei vernahm ich das Klirren von Metall. »Was ist das?« wollte ich wissen.
»Meine Waffen und meine Rüstung«, antwortete er. Dabei löste er die Fangleine und sprang an Bord. »Ich komme mit Euch.«
Unter dunklen Segeln löste sich das Boot von der Pier. Am Bug kräuselte sich das Wasser und floß sanft plätschernd am Rumpf des Bootes entlang, als wir in die Bucht hineinglitten. Galahad legte die Toga ab und warf sie dem Bootsführer zu, um sich sodann für den Kampf zu rüsten, während ich zu dem Palast auf dem Felsen zurückblickte. Er hing am Himmel wie ein Sternenschiff, das durch die Wolken segelt, oder vielleicht wie ein Stern, der auf die Erde herabgekommen ist, ein Ort der Träume, ein Refugium, in dem ein gerechter König und eine wunderschöne Königin regierten, in dem Dichter sangen und alte Männer die Spannweite von Engelsflügeln errechnen konnten. Es war so wunderschön, dieses Ynys Trebes, so unvergleichlich wunderschön.
Und, falls wir es nicht retten konnten, dem Untergang geweiht.
Zwei Jahre lang führten wir Krieg. Zwei Jahre gegen eine große Übermacht. Zwei Jahre der Pracht und der Hinterlist. Zwei Jahre der Schlachten und der Festmähler, der zerbrochenen Schwerter und der zerschmetterten Schilde, der Siege und der Katastrophen, und während all dieser Monate, bei all diesen schweißnassen Kämpfen, da tapfere Männer an ihrem eigenen Lebensblut erstickten und ganz gewöhnliche Männer Taten vollbrachten, die sie nie für möglich gehalten hatten,
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