Artus-Chroniken 1. Der Winterkönig
dieses Zeichen in Zweifel ziehen. Taranis, der Gott des Donners, hatte gesprochen - ein Beweis dafür, daß die Götter zum Hohen Rat erschienen waren, erschienen außerdem auf die Anrufung eines jungen Mädchens hin, das trotz der Kälte, die die Männer veranlaßte, ihre Umhänge enger um sich zu ziehen, nichts am Leib trug als ein schlichtes weißes Gewand mit einer Sklavenleine als Gürtel.
Niemand regte sich, niemand sprach, niemand rührte auch nur einen Finger. Die Methörner ruhten, die Läuse der Männer blieben ungekratzt. Es waren keine Könige mehr anwesend, keine Krieger. Es gab keine Bischöfe, keine tonsurierten Priester, keine alten, weisen Männer mehr. Es gab nur noch eine schweigende, verängstigte Menge, die ehrfürchtig auf ein junges Mädchen starrte, das dastand und seine Haare löste, so daß sie ihm schwarz und lang über den schmalen weißen Rücken fielen. Morgan blickte zu Boden, Tanaburs starrte offenen Mundes, und Bischof Bedwin sprach stumme Gebete, als Nimue den Redeplatz neben dem Feuerbecken einnahm. Beide Arme seitlich ausgestreckt, drehte sich sich langsam, in Sonnenlaufrichtung, um ihre Achse, so daß jeder Anwesende in der Halle ihr Gesicht sehen konnte. Es war ein Gesicht des Grauens. Von ihren Augen war nur noch das Weiße zu sehen, sonst nichts, und die Zunge hing ihr aus dem verzerrten Mund. Wieder und wieder drehte sie sich, mit jedem Mal schneller, und ich schwöre, daß uns allen gleichzeitig ein Schauer überlief. Inzwischen zitterte sie, während sie herumwirbelte, und geriet dabei immer näher an das große, lodernde Feuer, bis sie in die Flammen zu fallen drohte. Plötzlich sprang sie hoch in die Luft und stieß einen kreischenden Schrei aus, bevor sie auf den Mosaiksteinchen des Bodens
zusammenbrach. Gleich darauf kroch sie wie ein Tier auf allen vieren und suchte die Reihe der Schilde ab, die geteilt worden war, damit die Wärme des Feuers an die Füße des
Großkönigs gelangen konnte. Als sie Gundleus' Fuchsschild erreichte, bäumte sie sich auf wie eine zum Zustoßen bereite Schlange und spie einmal aus.
Der Speichel landete auf dem Fuchs.
Gundleus wollte von seinem Thronsessel aufspringen, Tewdric aber hielt ihn zurück. Tanaburs versuchte sich ebenfalls aufzurappeln, doch Nimue wandte sich zu ihm um und schrie. Von ihren Augen sah man immer noch nur das Weiße. Sie zeigte auf ihn, während ihr heulender Schrei durch die riesige römische Halle echote. Die Kraft ihres Zaubers ließ Tanaburs hilflos auf den Boden zurücksinken.
Dann erschauerte Nimue plötzlich; sie rollte die Augen, bis wir die Pupillen und die braune Iris wieder sahen. Blinzelnd starrte sie auf die Versammlung, als wäre sie erstaunt, an diesem Ort zu weilen. Dann wurde sie, mit dem Rücken zum Großkönig, ganz starr. Diese Starre bedeutete, daß sie sich im Bann der Götter befand und daß diese, sobald sie nun zu sprechen begann, durch ihren Mund sprechen würden.
»Ist Merlin am Leben?« fragte Tewdric ehrerbietig.
»Natürlich ist er am Leben.« Nimues Ton war geringschätzig, und sie sprach den König, der sie da befragte, nicht mit seinem Titel an. Sie war bei den Göttern und brauchte einfachen Sterblichen keine Hochachtung zu zollen.
»Wo ist er?«
»Fort«, antwortete Nimue und wandte sich um, so daß sie den mit seiner Toga bekleideten König auf der Plattform ansehen konnte.
»Wohin?« fragte Tewdric.
»Das geheime Wissen von Britannien suchen«, antwortete Nimue. Alle hörten aufmerksam zu, denn hier gab es endlich handfeste Neuigkeiten. Ich sah, daß Sansum, der Mäuselord, verzweifelt auf seinem Platz hin und her rutschte, weil er gegen diese heidnische Einmischung in die Beratungen des Hohen Rates unbedingt Protest erheben wollte; solange König Tewdric jedoch das Mädchen befragte, war es unvorstellbar, daß ihn ein einfacher Priester unterbrach.
»Was ist das geheime Wissen von Britannien?« fragte Großkönig Uther.
Wieder drehte sich Nimue um sich selbst, eine ganze Drehung in Sonnenlaufrichtung, aber nur, um über die Antwort nachzudenken, die sie schließlich mit singender, hypnotischer Stimme kundtat. »Das geheime Wissen von Britannien ist die Überlieferung unserer Ahnen, ein Geschenk unserer Götter, die dreizehn Eigenschaften der dreizehn Kleinodien, die uns, wenn sie alle zusammengetragen sind, die Macht verleihen werden, unser Land zurückzuerobern.« Sie hielt inne, und als sie dann sprach, hatte ihre Stimme wieder ihren normalen Tonfall angenommen.
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