Arztgeschichten
innen.«
Wieder sah ich Billigung in Anna Nikolajewnas Augen.
»Axinia!«
Wieder floß das Wasser.
Ach, jetzt im Döderlein nachlesen! dachte ich wehmütig, indes ich mir die Hände einseifte. Doch leider war das unmöglich. Was hätte er mir in diesem Moment auch helfen können? Ich spülte den dicken Schaum weg
und rieb mir die Finger mit Jod ab. Ein sauberes Laken raschelte in Pelageja Iwanownas Händen; über die Kreißende gebeugt, nahm ich behutsam und zaghaft die innere Untersuchung vor.
In meiner Erinnerung tauchte unwillkürlich der Operationssaal in der Geburtsklinik auf. Hell leuchtende Birnen in Mattglaskugeln, glänzender Fliesenfußboden, überall funkelnde Wasserhähne und Instrumente. Der Assistent im schneeweißen Kittel bemüht sich um die Kreißende, umstanden von drei Stationsärzten, von Praktikanten und einer Menge Studenten. Schön, hell und gefahrlos.
Hier hingegen war ich mutterseelenallein für eine schmerzgepeinigte Frau verantwortlich. Wie ich ihr helfen sollte, wußte ich jedoch nicht, denn ich hatte erst zweimal eine Entbindung in der Klinik gesehen, und beide waren normal verlaufen. Jetzt nahm ich eine Untersuchung vor, doch davon wurde weder mir noch der Kreißenden leichter; ich begriff überhaupt nichts und konnte in ihrem Innern auch nichts ertasten.
Dennoch war es an der Zeit, einen Entschluß zu fassen.
»Querlage … Bei Querlage müssen wir also … müssen wir also …«
»Eine Wendung auf den Fuß«, bemerkte Anna Nikolajewna ungeduldig und gleichsam für sich.
Ein alter erfahrener Arzt hätte ihr für diese voreilige Bemerkung einen mißbilligenden Blick zugeworfen, doch ich war nicht so empfindlich …
»Ja«, bestätigte ich vielsagend, »eine Wendung auf den Fuß.«
Vor meinen Augen erschienen die Buchseiten von Döderlein. Direkte Wendung … Kombinierte Wendung … Indirekte Wendung …
Seiten, Seiten … und Zeichnungen. Becken, verkrümmte, zusammengedrückte Säuglinge mit riesigen Köpfen … Ein heraushängendes Ärmchen, daran eine Schlinge.
Ich hatte doch erst kürzlich im Döderlein gelesen. Hatte noch einzelne Stellen unterstrichen, mich aufmerksam in jedes Wort hineingedacht, mir das Zusammenwirken der Teile und die verschiedenen Methoden vorgestellt. Und ich hatte mir beim Lesen eingebildet, der ganze Text wäre für alle Zeiten in mein Gehirn geprägt.
Jetzt aber trieb nur ein einziger gelesener Satz in der Erinnerung hoch:
»Da die Wendung stets eine für die Mutter gefahrvolle Operation ist …«
Was wahr ist, muß wahr bleiben. Eine gefahrvolle Operation sowohl für die Frau als auch für einen Arzt, der erst vor sechs Monaten die Universität verlassen hat.
»Also, dann wollen wir mal«, sagte ich und stand auf. Anna Nikolajewnas Gesicht wurde lebhaft.
»Demjan Lukitsch«, wandte sie sich an den Feldscher, »machen Sie Chloroform bereit.«
Ein Glück, daß sie dies sagte, denn ich war mir nicht ganz sicher gewesen, ob die Operation bei Narkose gemacht wird. Ja, natürlich bei Narkose, wie denn sonst!
Trotzdem mußte ich noch einmal in den Döderlein schauen. Während ich mir die Hände wusch, sagte ich:
»Nun gut, Sie bereiten alles für die Narkose vor und machen die Frau zurecht, ich geh inzwischen noch mal rüber, paar Zigaretten holen.«
»Gut, Doktor, soviel Zeit ist noch«, antwortete Anna Nikolajewna.
Ich trocknete mir die Hände ab, die Schwester warf mir den Mantel über die Schultern, und ohne in die Ärmel zu fahren, eilte ich nach Hause.
In meinem Arbeitszimmer zündete ich die Lampe an und stürzte mit der Mütze auf dem Kopf zum Bücherschrank.
Da war er, der Döderlein. »Leitfaden für den geburtshilflichen Operationskurs.« Hastig raschelte ich mit den Glanzpapierseiten.
»Da die Wendung stets eine für die Mutter gefahrvolle Operation ist …«
Kälte kroch mir das Rückgrat hinunter.
»Die Hauptgefahr liegt in der Möglichkeit der violenten Uterusruptur.«
Vi-o-len-ten …
»Findet der Geburtshelfer beim Eingehen mit der Hand in den Uterus wegen Raummangel und Behinderung durch die kontrahierte Uteruswand schon Schwierigkeiten, zum Fuß zu gelangen, so stehe er von den weiteren Versuchen der Durchführung der Wendung ab.«
Gut. Wenn es mir durch ein Wunder gelingt, diese »Schwierigkeiten« zu erkennen, und wenn ich »von den weiteren Versuchen abstehe«, was mache ich dann mit der chloroformierten Frau aus dem Dorfe Dulzewo?
Weiter:
»Ganz verpönt ist, über den Rücken des Kindes hinweg
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