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Arztgeschichten

Arztgeschichten

Titel: Arztgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Stimme.
    In die Wanne setzen, verteidigte ich mich wütend. In die Wanne. Und dann den Bruch zurückzudrängen versuchen.
    Es ist ein eingeklemmter, mein Lieber! Was zum Teufel soll da ein Wannenbad! Ein eingeklemmter Bruch, sang die Angst mit dämonischer Stimme. Da mußt du schneiden.
    Nun gab ich auf und hätte fast geweint. Und ich schickte ein Flehen in die Dunkelheit vor dem Fenster: Alles, bitte nur keinen eingeklemmten Bruch.
    Die Müdigkeit sang:
    Leg dich schlafen, unglückseliger Äskulap. Schlaf dich aus, am Morgen siehst du weiter. Beruhige dich, junger Neurastheniker. Schau doch, die Dunkelheit vor den Fenstern ist ruhig, die erkaltenden Felder schlafen, es gibt keinen Bruch. Am Morgen siehst du weiter. Lebst dich ein. Schlafe. Lege den Atlas weg. Jetzt kapierst du sowieso kein Jota mehr. Der Bruchhals …

    Wie er hereingestürzt war, konnte ich mir nicht einmal vorstellen. Der Türriegel hatte geklirrt und Axinia etwas gepiepst. Und vor dem Fenster war ein Wagen vorübergeknarrt.
    Er war ohne Mütze, trug eine offenstehende Pelzjoppe, hatte einen ungepflegten Kinnbart und irr blickende Augen.
    Er bekreuzigte sich, fiel auf die Knie und bumste mit der Stirn auf den Fußboden. Das galt mir.
    Jetzt ist es aus, dachte ich trübsinnig.
    »Nicht doch, nicht doch, nicht doch!« murmelte ich und zog an dem grauen Ärmel.
    Sein Gesicht verzerrte sich, und er stammelte, sich verschluckend, als Antwort:
    »Herr Doktor … Herr … Die einzige, die einzige … Die einzige!« Er schrie es plötzlich mit jugendlich klangvoller Stimme, so daß der Lampenschirm erzitterte. »Ach, du unser Herrgott … Ach …« Gramvoll rang er die Hände und schlug wieder mit der Stirn gegen die Dielenbretter, als wolle er sie zertrümmern. »Wofür? Wofür die Strafe? Womit haben wir dich erzürnt?«
    »Was ist denn passiert?« rief ich und fühlte mein Gesicht kalt werden.
    Er sprang auf die Füße, wankte und flüsterte:
    »Herr Doktor, was Sie wollen … Ich geb Ihnen Geld … Sie kriegen Geld, soviel Sie wollen. Soviel Sie wollen. Ich bring Ihnen Lebensmittel … Daß sie bloß nicht stirbt. Bloß nicht stirbt. Wenn sie ein Krüppel bleibt, macht nichts. Macht nichts!« schrie er zur Decke hinauf. »Wir füttern sie durch, haben genug.«
    Axinias bleiches Gesicht schwebte im schwarzen Türrechteck. Bangigkeit umschlang mein Herz.
    »Was ist denn? So reden Sie doch!« schrie ich unbeherrscht.
    Er verstummte, dann flüsterte er, als teile er mir ein Geheimnis mit, und seine Augen wurden bodenlos tief dabei:
    »Sie ist in die Flachsbreche gekommen …«

    »Flachsbreche?« fragte ich zurück. »Was ist das?«
    »Flachs, sie haben Flachs gebrochen, Herr Doktor«, erklärte Axinia flüsternd, »die Flachsbreche … Flachs wird damit gebrochen …«
    Es geht schon los. Schon. Oh, warum bin ich hergekommen! dachte ich entsetzt.
    »Wer denn?«
    »Meine Tochter«, antwortete er flüsternd, dann schrie er: »Helfen Sie!« Wieder warf er sich zu Boden, und seine gleichlang geschnittenen Haare fielen ihm über die Augen.
     
    Die Lampe mit dem verbogenen Blechschirm brannte hell. Ich sah das Mädchen auf dem frisch duftenden weißen Wachstuch des Operationstisches liegen und vergaß den Bruch.
    Ihr heller, etwas rötlicher Zopf hing verfilzt vom Tisch. Der Zopf war von gigantischer Länge, er reichte bis zum Fußboden. Der Kattunrock war zerfetzt, das Blut darauf von verschiedener Farbe – bräunliche und fettig rote Flecke. Das Licht der Blitzlampe kam mir gelb und lebendig, ihr Gesicht papiern, ihre Nase spitz vor.
    Ihr gipsweißes, regloses Gesicht war von wahrhaft seltener Schönheit. Ein solches Antlitz sieht man nicht oft.
    Im Operationssaal herrschte wohl zehn Sekunden lang völliges Schweigen, doch durch die geschlossene Tür war zu hören, wie der Bauer immer wieder dumpfe Schreie ausstieß und mit dem Kopf gegen den Fußboden bumste.
    Er ist verrückt geworden, dachte ich. Die Schwestern werden ihm schon was eingeben … Wie kommt er zu einer so schönen Tochter? Allerdings hat er regelmäßige Gesichtszüge … Die Mutter muß schön gewesen sein … Er ist wohl Witwer …
    »Ist er Witwer?« flüsterte ich mechanisch.
    »Ja«, antwortete Pelageja Iwanowna leise.
    In diesem Moment zerriß Demjan Lukitsch mit einer jähen, gleichsam wütenden Bewegung ihren Rock vom Saum bis zum Bund. Was ich nun erblickte, übertraf meine
Erwartungen. Das linke Bein war eigentlich nicht mehr da. Vom zerschmetterten Knie

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