Ascheherz
zerfielen. Wieder und wieder spuckte sie Ascheflocken aus, als sei ihre ganze Brust damit gefüllt gewesen. Und als sie endlich frei atmen konnte, war die Luft ein Feind, dessen Waffen fünf Arten von Kälte waren: spitzes Frösteln, beißende Kälte, ein schmerzhaftes Ziehen auf der Haut, ein taubes Pochen und Nagen. Und während sie versuchte, dieser Kälte Herr zu werden, umarmte irgendjemand sie behutsam und doch fest. Eine … Zorya?
Sie riss die Augen auf und blickte in ein vertrautes Gesicht, das vor Erleichterung viel, viel jünger wirkte, als sie es in Erinnerung hatte.
»Na endlich!«, stieß Moira atemlos hervor. »Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Für eine Sekunde dachte ich, er hätte dich tatsächlich erledigt.«
»Aber ich … bin tot«, krächzte Summer. »Das … das ist nicht mein Herz.«
Moira grinste. »So? Na, meins aber auch nicht. Los, Zeit für dich, zu gehen!« Sie legte Summers Arm um ihren Hals und wollte sie auf die Beine ziehen. Der Schmerz in der Schulter ließ Summer aufschreien. Gleichzeitig stellte sie fest, dass es nur noch ein gewöhnlicher Schmerz war. Eine einfache Wunde, nicht tief, aber unangenehm. Der Falterstaub brannte nicht länger darin und das fremde Herz in ihrer Brust schlug immer ruhiger, je öfter sie Luft
holte. Sie bemerkte, dass Jola direkt neben ihr war. Doch diesmal knurrte der Hund sie nicht an, sondern schnupperte nur an ihrer Hand und leckte über die klammen Finger. Und im selben Moment, in dem ein Windstoß ihre Beine streifte und sie zum ersten Mal den schlimmsten Biss wirklicher Kälte spürte, begriff sie, dass sie ganz und gar menschlich war. Und auch, wessen Herz ihr dieses Leben geschenkt hatte. Beinahe hätte sie gelacht. Doch dann besann sie sich, dass noch längst nicht alles vorbei war.
»Die Zorya!«, flüsterte sie Moira zu, während ihr bereits schwindelig wurde. »Indigo hat sie mit einer List gefangen. In den Kammern der Winde. Eine habe ich gesehen, du wirst sie erkennen, in einem der Glassärge. Sie hat weißes Haar. Sie lebt noch. Du musst sie befreien! Und auch die Zorya in den anderen Kisten … lasst sie frei! Und dann … reißt die Bretter vor den Fenstern weg, zerschlagt alle Glasbehälter und lasst den Wind in die Kammern.« Damit der tödliche Staub hinausgeweht wird. Und mit Indigos Asche und seinem Geheimnis im Meer sein Grab findet. »Versprich es mir, Moira!«
»Was immer du sagst, Tanzmädchen. Aber jetzt sorge ich erst einmal dafür, dass du von hier verschwindest.«
Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, wurde sie getragen. Ihr Kopf lag an einer Schulter, die kräftiger und breiter war als die von Moira. Der Gang war unregelmäßig, als würde jemand leicht hinken.
»Farrin?«, murmelte sie.
»Sieht ganz so aus«, kam die Antwort. Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass er sie in seinen Soldatenmantel gewickelt
hatte, der auch ihre Füße bedeckte. Trotzdem fror sie, während Farrin sie die Treppen hinuntertrug. Soldaten strömten an ihm vorbei und hetzten die Treppen hoch. Rufe hallten in den Hallen. Alles bewegte sich in Richtung der Zitadellenspitze.
»Lasst mich durch!«, donnerte Farrin gegen den Strom an. »Ich habe hier eine Verletzte.«
»Bring mich einfach nur zum Haitempel«, flüsterte Summer. »Von dort aus komme ich allein zurecht.« Im selben Moment fiel ihr ein, dass sie keine Zorya mehr war. Und dass sie nie wieder so lange Zeit im eiskalten Wasser aushalten würde. Ihr menschlicher Körper würde unterkühlen und zugrunde gehen.
»Träum weiter, Südländerin«, spottete Farrin. »Erst einmal müssen wir die Blutung stillen. Und deine Zehen sind schon blauer als das Meer.«
»Hat Moira dir befohlen, mich in Sicherheit zu bringen?«
»Allerdings. Ich weiß nicht, was da oben auf dem Dach geschehen ist, aber sie hat zu mir gesagt, ich soll dafür sorgen, dass du Schuhe und Kleidung bekommst. Und dass jemand sich um deine Wunde kümmert. Und genau das tue ich.«
Es tat gut, die Augen wieder zu schließen und den Kopf an seine Schulter sinken zu lassen. »Gehorchst du immer so gut?«, murmelte sie.
»Nur meinem Käpten.«
Der alte Scherz brachte sie zum Lächeln. »Er scheint ja furchterregend zu sein.«
»Sagen wir so, ich würde ihn immer noch gerne beeindrucken. Auch wenn Käpten Moira nichts von mir wissen will. Aber tapfere Leute imponieren mir. Und man sollte sie nicht warten lassen.«
Summer schlang den linken Arm fester um seinen Nacken und streckte
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