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Aschenpummel (German Edition)

Aschenpummel (German Edition)

Titel: Aschenpummel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Miedler
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Mund. Nur äußerst widerwillig ließ ich mich in die Wohnung ziehen, schließlich war ich noch nicht mal beim Dessert angelangt. Und genug Alkohol hatte ich auch noch nicht intus, um jetzt schon Sex haben zu können.
    Strohmann führte mich in den Flur und öffnete dort eine Tür.
    Das Schlafzimmer. Ich schnappte nach Luft. Nicht weil es das Schlafzimmer war, darum war es ja die ganzen letzten Tage gegangen, wenn ich seine Andeutungen richtig verstanden hatte, sondern weil dieser Raum so vollkommen anders war, als ich ihn mir vorgestellt hatte. Dominiert wurde er von einem gewaltigen Himmelbett. Dem Bett gegenüber stand eine zierliche Schminkkommode. Ja, Schminkkommode. Doch der Zahnarzt entpuppte sich nicht etwa als Frau.
    Sondern lediglich als Sohn.
    »Das sind Mutters Möbel, liebste Teddy. Nach ihrem Tod bin ich hierhergezogen und habe ihre Sachen mitgenommen. Ich vermisse sie schrecklich.«
    »Oje, das tut mir leid.«
    Er nahm ein Foto von der Schminkkommode. »Das ist Mutter als junge Frau.«
    Die Frau auf dem Foto war dick und hatte ein unglaublich verbissenes Gesicht.
    »Hübsch«, meinte ich vage und gab dem Zahnarzt das Foto zurück.
    Voller Zärtlichkeit blickte er mich an. »Ich weiß«, antwortete er. »Sie sehen genauso aus wie sie.«
    Das Schöne war, dass dieser Schock gleich von einem viel größeren abgelöst wurde. Der Zahnarzt zog mich zum Bett und sagte feierlich:
    »Wenn ich Ihnen jetzt, liebste Teddy, Mutter vorstellen dürfte.«
    Ich schluckte und erwartete eine ausgestopfte Tote unter der Bettdecke. Doch Strohmann deutete auf das Nachtschränkchen und sagte: »Da ist Mutter.«
    O Gott sei Dank, o Gott sei Dank! Nur eine Schatulle, in der bestimmt ihre Asche war. Es kostete mich einige Anstrengung, mir die Erleichterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.
    »Kommen Sie, Teddy. Sie dürfen sie ansehen.«
    Na gut, ich war zwar nicht unbedingt scharf drauf, in Totenasche rumzuwühlen, aber wenn ihm so viel daran lag, dann wollte ich nicht so sein.
    Wir setzten uns auf Mutters gutes Bett. Der Zahnarzt klappte die Schatulle auf, ich blickte hinein.
    Mutter – blickte zurück.
    Ganz ehrlich, die eingelegten Litschis beim Chinesen um die Ecke sehen auch nicht anders aus.
    Insofern eigentlich recht unverständlich, dass ich so ein Spektakel veranstaltete. Aber aufgrund irgend so einer komischen Abwehrreaktion rutschte mir die Hand aus und die Schatulle samt Mutters Augen flog in hohem Bogen zu Boden.
    Der Zahnarzt kreischte, ich kreischte und Mutters Litschis rollten auf dem Parkett herum.
    »Mutter! Mutter!« Strohmann hechtete hinunter, rutschte auf dem Boden herum und stieß eine Wehklage nach der anderen aus. Ich sprang ihm hinterher, robbte auf Knien durch den Raum und flehte um Hilfe von oben.
    In dem Moment hörte ich ein schmatzendes Geräusch unter mir. Nein, bitte nicht! Bitte, bitte, nicht das!
    Panisch hob ich mein Kleid. O mein Gott. Mein rechtes Knie hatte eines von Mutters Augen erlegt.
    Das war mein Tod. Der Zahnarzt würde mich erwürgen. Mindestens. Mit spitzen Fingern nahm ich das arme Ding und besah es von allen Seiten. Vorne sah es tadellos aus, nur hinten fehlte die Hälfte.
    Die Hälfte, die jetzt vermutlich auf mir pickte. Ich fand die Schatulle unter dem Bett und drückte das Auge mit der Iris nach oben hinein.
    »Ich hab eins«, rief in dem Moment der Zahnarzt. »O Mutter! O liebste Mutter!«
    »Und ich hab das andere gefunden«, sagte ich so natürlich wie möglich und brachte ihm die Schachtel.
    »Es tut mir so leid«, flüsterte ich.
    Der Zahnarzt schüttelte mit zitternden Lippen den Kopf und murmelte: »Jetzt noch frische Flüssigkeit.«
    Er nahm eine Flasche aus der Kommode und träufelte deren Inhalt in die Schatulle. Mutters Augen fingen erst zu schwimmen, dann zu tanzen an. Bevor der Zahnarzt womöglich noch den Schaden entdeckte, legte ich die Hand auf den Deckel und schloss die Schatulle.
    »Ich finde, sie hat heute schon genug durchgemacht«, sagte ich.
    Strohmann sah mich an. Eine Träne lief über seine Wange.
    »Es tut mir so leid«, wiederholte ich hilflos.
    Er schüttelte wieder bloß den Kopf.
    Ich räusperte mich. »Wie lange ist Ihre Mutter denn schon …«
    »Vier Jahre.«
    »Wow! Ich meine, schrecklich. Aber wow, dass sie noch so gut erhalten ist, äh, sind.«
    »Formaldehyd. Ein befreundeter Pathologe, der auch so lieb war, mir Mutters Augen zu überlassen, versorgt mich damit.«
    Ich versuchte zu lächeln. »Das ist wirklich großartig.«
    Dem

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