Ashes, Band 02: Tödliche Schatten (German Edition)
ihre Gedanken aussetzten wie eine zerkratzte CD , die einen Track überspringt. Sie ging zu Boden, der Schädel rollte ihr aus den kraftlosen Fingern. Schwindelig vor Schmerz sah sie, wie Schmissie über ihr stand, die Faust geballt, um ihr den nächsten Schlag zu versetzen.
Selbst wenn Alex sich gegen sie hätte wehren können, hätte Pickel das vereitelt. Denn er ließ sich auf ihre Beine fallen. Im nächsten Moment setzte sich Schmissie auf ihre Brust und grub ihr die Knie unters Schlüsselbein. Eine Woge aus weiß glühendem Schmerz ergoss sich in Alex’ Brust, und ihr entfuhr ein gequälter Schrei, als Schmissie sie zwang, den verletzten Arm auszustrecken, und ihr Handgelenk mit beiden Händen in den Schnee drückte.
Wolf rückte drohend näher und zeigte demonstrativ das Messer. Aber erst als er zurücktrat und sie sah, wie er dastand und was er ins Visier nahm, begriff Alex, was nun geschehen sollte.
Er würde sie nicht töten, noch nicht. O nein. Das war zu einfach. Zu schnell.
Zuerst würde er ihr den Arm abhacken.
Himmel, nein! Ihr Herzschlag dröhnte. Verzweifelt bäumte sie sich auf, aber das war reine Energieverschwendung. Die anderen waren zu schwer. Sie war am Boden festgenagelt, und so würde es enden: im Schnee, mit abgehackten Armen und Beinen, ihr Körper würde in einem roten, heißen Strom ausbluten, der den Schnee zum Schmelzen brachte, bis nichts mehr übrig war, was ihr Herz hätte pumpen können. Bei Kincaid hatte sie genug Amputationen miterlebt, ihr war klar, wie schnell man die Arterien abklemmen musste, bevor sie in den Muskel zurückschnellten – man konnte so einem armen Kerl sonst ebenso gut die Kehle durchschneiden. Aber was, wenn die Veränderten so geübt darin waren, dass sie wussten, auf welche Arterien es ankam? Was, wenn die Kids sie nicht schnell sterben lassen wollten, sondern sie lieber langsam tranchierten, um sie lebend, einen saftigen Happen nach dem anderen, zu verspeisen? Vielleicht stand ihr eine sehr lange Leidenszeit bevor, denn sie glaubte nicht, dass man allein an Schmerzen sterben konnte. Womöglich genossen sie es, ihre Opfer leiden zu sehen.
Das Feldmesser blitzte vor ihren Augen. Sie war so entsetzt, dass sie meinte, es sei einen halben Meter lang, nein, fünf Meter, zehn, noch länger. Dabei war sie so scharfsichtig, dass sie jede Kerbe, jede Schramme sah, wo die rasiermesserscharfe Klinge schon mal auf Knochen getroffen war. Rasant breitete sich der Kloakengestank der Veränderten aus, wuchs wie ein Pilz …
Doch da roch sie noch etwas anderes, gleich hinter dem Kadavergeruch: kein Terpentin oder Harz, nur eine Schar nebelhafter Schatten aus den Tiefen der Wälder in einer eiskalten, pechschwarzen Nacht.
Es war ein Geruch, den sie gut kannte.
Nein, das kann nicht sein. Er war ihr jetzt so nah, dass sie die Augen des Jungen hinter der Wolfsfellmaske sehen konnte, tief und schwarz wie Kohle. Er hat dieselben Augen, denselben Geruch. Aber das ist verrückt, das kann …
Surrend sauste das Messer herab.
5
E in leises schmatzendes Geräusch, und die massive Stahlklinge steckte tief im Schnee. Neuer Schmerz schoss ihr wie ein glühender Blitz durch die Brust bis hinauf in ihren Kiefer. Vor ihren Augen blendendes Weiß, das in tausend Teile zerschellte und zu einer gezackten Spur wurde, während sich der Schmerz mit einer derben Klaue in ihr Inneres grub. Trotzdem herrschte Klarheit in ihrem Denken, sie blickte wie durch eine Glasscheibe und erkannte, dass der Schmerz zwar schrecklich, aber nicht die schreiende Qual war, mit der sie gerechnet hatte, wenn Wolf ihr den Arm abhackte.
Ihre Augen wanderten nach links.
Der Arm war noch dran. Auch ihre Hand.
Aber Wolf hielt einen nassen, tropfenden, tiefroten Fetzen in der Hand, und …
O mein Gott. Ihr in der Brust eingeschlossener Atem entwich in bebenden Schluchzern. Wolf hatte zu Ende gebracht, was Spinne begonnen hatte. Entsetzt musste sie mitansehen, wie Wolf ein Stück Parka, Haut und absterbenden Muskel inspizierte.
Ihren Muskel. Ihr Herzschlag dröhnte ihr in den Ohren. Ihr Fleisch.
Beinah geziert zupfte Wolf den zerfetzten blutigen Parkastoff ab, als entferne er einen Rest Fleischpapier von einem blutigen Steak. Dann nahm er eine Handvoll Schnee und wischte damit das geronnene Blut weg, hielt das Fleischstück hoch und begutachtete es mit einer merkwürdigen Intensität. Dabei strich er es mit dem Daumen glatt. Wonach suchte er? Alex hatte keinen blassen Schimmer.
Zufrieden, obwohl sie keine
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