Ashes Bd. 1 Brennendes Herz
fragte Alex.
»Ich versuche dir schon die ganze Zeit zu helfen, Mädel«, erwiderte Jess. Unter dem Parka mit der nach hinten geschobenen Kapuze trug sie noch das weiße Flanellnachthemd, das offene Haar floss um ihre Schultern wie geschmolzener Stahl. Das Gewehr – eine Remington – hatte sie sich quer über den Rücken gehängt. »Aber du musstest selbst darauf kommen. Außerdem musste ich sicherstellen, dass …« Sie unterbrach sich, als Nathan mit zwei Pferden aus dem Dunkel kam. »Und?«
»Vielleicht fünfzehn Minuten, Jess … Nicht jetzt, Vi, bei Fuß!«, rief Nathan seinen Hund zurück, der zu Alex gesprintet war. Nathan machte eine Kopfbewegung nach links. »Sie kommen. Wenn wir es durchziehen wollen, dann jetzt.«
»Fünfzehn Minuten bis was? Wer kommt?«, fragte Alex.
»Na dann.« Jess nickte Alex zu. »Mach schon. Nimm Matts Pferd. Wir haben nicht viel Zeit.«
»Fünfzehn Minuten bis was?«, fragte Alex noch einmal, als sie das Pferd aus dem provisorischen Stall führte. Sie sah, dass die Nacht bereits verblich. Zwar war der Himmel über ihr noch tief kobaltblau, wurde am Horizont aber rasch schiefergrau. In weniger als einer halben Stunde würde der Morgen dämmern.
»Das wirst du brauchen.« Jess gab ihr einen mittelgroßen gepackten Rucksack, auf den ein paar leichte Schneeschuhe gezurrt waren. »Genug Vorräte für zwei Wochen. Ein paar Klamotten aus deinem Zimmer und ein warmer Pullover. Tut mir leid, aber ich konnte nicht riskieren, noch mehr oder einen Schlafsack einzupacken, aber es ist eine Notfalldecke drin und eine Kunststoffplane, dazu wasserdichte Streichhölzer, ein Messer und ein Feuerstein.«
»Danke«, sagte Alex und öffnete den Reißverschluss, um einen Blick in den Rucksack zu werfen. Wenn Jess in ihrem Zimmer gewesen war, hatte sie ja vielleicht auch die Mappe eingepackt? Leider nein, sie sah mit einem Blick, dass die Asche ihrer Eltern nicht drin war. Irgendwie hatte sie es auch schon vorher gewusst, der Rucksack war zu leicht gewesen. Sie machte ihn wieder zu, schulterte ihn und sah zu Jess auf, die sie beobachtete.
»Schüttle den Staub von deinen Sandalen, Mädchen«, riet sie ihr. »Die Vergangenheit ist vergangen.«
Alex fragte erst gar nicht, woher Jess wusste, wonach sie gesucht hatte. Es war jetzt sowieso egal. »Ich könnte eine Waffe brauchen. Die Remington wäre klasse.«
Doch Jess schüttelte den Kopf. »Den Wunsch kann ich dir nicht erfüllen. Sie würde dir sowieso nichts nützen.«
»Woher willst du das wissen?«
»Vertrau mir einfach.«
Das allerdings tat Alex nicht. Aber welche andere Wahl hatte sie? Was würde passieren, wenn sie blieb? Würde Jess sie erschießen?
»Warum bekomme ich keine Waffe?«, fragte Alex. »Ich bin keine Bedrohung für dich. Ich will doch fort.« Und als Jess nicht antwortete, hakte Alex nach: »Du weißt, was da draußen los ist, Jess. Ich gehe, aber gib mir die Chance, mich zu wehren.«
Jess musterte sie einen langen Augenblick und sagte dann zu Nathan: »Gib ihr dein Gewehr.«
Nathans Augen wurden kugelrund. »Jess, ich weiß nicht recht …«
»Aber ich.« Jess drehte sich um und stieg auf ihr Pferd. »Gib ihr das Gewehr.«
Nathan schob das Kinn vor, und eine Sekunde lang dachte Alex, er würde sich weigern. Doch dann hakte er den Trageriemen auf. »Kennst du dich mit einem Kammerverschluss aus?«
»Ja«, erwiderte sie und bemühte sich, ihr Hochgefühl zu verbergen. Das Gewehr war eine Browning X-Bolt mit Visierung, der Lauf aus rostfreiem Stahl, der Schaft aus dunklem Walnussholz: eine ausgezeichnete Waffe. »Welches Abzugsgewicht?«
Schwer zu sagen, ob Nathan sie verächtlich oder amüsiert musterte. »Mittel. 1,6 Kilogramm, geringer Öffnungswinkel, leichtgängig. Mit Einsteckmagazin.« Nathan öffnete die Bodenplatte und klappte es heraus. »Fünf Patronen, 270er Winchester Short Magnum, und eine in der Kammer, also vollgeladen. Die Sicherung ist oben am Verschlussgehäuse, und hier mit dem kleinen Knopf am Spannhebel kannst du den Verschluss entriegeln. Du drückst ihn nach unten, kippst den Verschluss nach oben und ziehst ihn ganz nach hinten, dann kannst du die Patrone aus der Kammer entfernen, während das Gewehr gesichert ist. Verstanden? Es ist eine wirklich gute Waffe.«
Das war noch eine Untertreibung. Und damit hatte Alex nicht nur ein Gewehr, sondern auch ein Zielfernrohr. Short-Magnum-Patronen hießen zudem: schnellere Schussfolge und höhere Durchschlagskraft. Alex hängte sich die Waffe um,
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