Asperger - Leben in zwei Welten
Kapitel begleiten, wird dies auch künstlerisch untermauert. Was anfangs völlig ungeordnet erscheint, ergibt allmählich Sinn und Struktur. Ich wünsche jedem Betroffenen ein gutes Leben, das hilft, die eigene Persönlichkeit zu entfalten, die besonderen Fähigkeiten optimal einzusetzen und bestehende Schwierigkeiten abzumildern.
Dieburg, im Juni 2011
Christine PreiÃmann
Einführung Autismus und Asperger-Syndrom
Man spricht heute von Autismus-Spektrum-Störungen, um zu verdeutlichen, dass vermutlich sowohl das Asperger-Syndrom als auch der frühkindliche Autismus und der atypische Autismus gekennzeichnet sind durch verschiedene Schweregrade gemeinsamer Beeinträchtigungen. Ebenfalls allen gemeinsam ist die genetische Beeinflussung.
An einem Ende des Spektrums ist der frühkindliche Autismus mit meist schwerer Mehrfachbehinderung angesiedelt, am anderen Ende finden sich das Asperger-Syndrom und der High-Functioning-Autismus mit flieÃendem Ãbergang zur »Normalität«. Dazwischen bestehen so viele Facetten wie autistische Menschen selbst. Bei allen Betroffenen gibt es Unterschiede bezüglich Ressourcen und Problemen.
Die speziellen Schwierigkeiten autistischer Menschen sind oft auf den ersten Blick nicht richtig einzuschätzen und erscheinen vielfach als Provokation. Zum besseren Verständnis der Symptomatik sollen daher zunächst einige charakteristische Auffälligkeiten autistischer Menschen aus dem Bereich der Neuropsychologie beschrieben werden.
Neuropsychologische Grundlagen
In den letzten Jahren haben vor allem die »Theory of Mind«, die exekutiven Funktionen und die Theorie der schwachen zentralen Kohärenz zum besseren Verständnis von gestörten Denkprozessen bei Menschen mit Autismus und damit zur Erklärung ihrer speziellen Auffälligkeiten beigetragen.
Sie sollen nun nachfolgend beschrieben und durch Beispiele verdeutlicht werden.
Mangelhaft entwickelte Theory of Mind
Unter dem Begriff »Theory of Mind« versteht man sämtliche Denkprozesse, die es ermöglichen, fremdes und eigenes Verhalten ebenso wie die eigenen Gedanken, Gefühle, Wünsche, Absichten und Vorstellungen und diejenigen anderer Menschen zu erkennen, zu verstehen, vorherzusagen und in die eigenen Planungen einzubeziehen.Gemeint sind also Fähigkeiten, die notwendig sind, um erfolgreich an sozialen Interaktionen teilzunehmen.
Man geht bei Menschen mit Autismus von einer mangelhaft entwickelten Theory of Mind aus, das erklärt u. a. ihre Schwierigkeiten, subtilere soziale Vorgänge, Stimmungen, Anekdoten, Witze und Sarkasmen zu verstehen. Oft können sie die Konsequenzen ihrer Handlungen und ihres Verhaltens nicht verstehen und nicht vorhersehen.
Es fällt ihnen beispielsweise schwer (Schirmer 2006, 127â128),
in das eigene Handeln einzubeziehen, was andere Menschen bereits wissen;
Freundschaften zu knüpfen, indem sie die Absichten anderer verstehen und auf deren Absichten eingehen;
andere Menschen bewusst zu täuschen, also auch zu lügen;
das Interesse des Hörers an der eigenen Rede einzuschätzen;
zu erkennen, was andere von der eigenen Handlung denken könnten;
Missverständnisse nachzuvollziehen;
die Gründe hinter dem Verhalten anderer Menschen zu verstehen;
die ungeschriebenen Sozialregeln zu verstehen.
Auch das mangelhafte Verständnis für Metaphern und Ironie kann auf das Theory-of-Mind-Defizit zurückgeführt werden. Es kann möglich sein, im Lauf der Zeit auf diesem Gebiet manches zu verbessern, beispielsweise können mithilfe des Internets viele Sprichwörter und Redewendungen auswendig gelernt werden, auch wenn das intuitive Verständnis dafür fehlt. Ganz ausschalten lassen sich die Schwierigkeiten in der Regel aber nicht. Manchmal ist es für mich bei zweideutigen ÃuÃerungen immer noch schwer zu entscheiden, was nun genau gemeint ist, ob es sich um eine Redewendung handelt oder nicht. So erklärte meine psychologische Kollegin in der Klinik, sie könnte »in die Luft gehen«. Ich dachte, sie wollte mit mir über ihre Urlaubspläne sprechen, und fragte sie, wohin sie gern fliegen würde. Dass sie sich über einen Patienten ärgerte, war mir entgangen.
Autistische Menschen sind oft nicht in der Lage, ihre Ãngste oder andere Gefühlsqualitäten adäquat zu verbalisieren. Ambivalente, uneindeutige Gefühle zu erleben und auszuhalten, fällt ihnen sehr schwer.
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