Aster, Christian von - Die grosse Erdfer
Feuer der Furcht jedoch vollends löschen. Und er wusste auch, wie ihm dies gelingen würde.
»Einige von euch werden, wenn sie von der Immerschwarzen hören, an die große Erzferkelprophezeiung denken, die das Ende von Zwerg und Zwergeszwerg, des Ehernen Imperiums und von allem, jedem und dem Rest verheißt«, sagte er. »Doch wäre die Zeit dieser Prophezeiung gekommen, so wäre da einer, der es wüsste, einer, der es euch zu sagen vermöchte. Einer, der den Göttern näher steht als ich, der ihre Sprache spricht und Rat mit ihnen hält. Bevor also eure ehernen Herzen von Furcht zersetzt werden, lasst den Einen unter uns zu Wort kommen, den Höchsten aller hohen Priester, den Ebenbürtigen unter den Gleichartigen!«
Wenn das Orakel tatsächlich von der Prophezeiung gesprochen hätte, dann wäre der Hohepriester unverzüglich vor dem Verwalter erschienen, um ihm Bericht zu erstatten. Da dies jedoch nicht geschehen war, nahm der Verwalter die Gerüchte um das Auftauchen der schwarzen Splitterspinne nicht ernst.
Der Hohepriester würde die aufgebrachte Zwergenmeute besänftigen können. Dessen war er sich sicher.
Auf ein Zeichen des Verwalters hin stießen die Priester von Neuem in das Drachenhorn. Knarrend öffnete sich das Südtor der Halle, das direkt an die Gemächer des Hohepriesters grenzte. Der Einzug des Priesters und seines zweibeinigen Gedächtnisses bildete für gewöhnlich das Ende einer jeden Audienz. Die profanen Belange des Ehernen Volkes scherten den Schreitenden und den Stehenden gewöhnlich nicht. Er verkündete einzig den Willen der Götter und die Weisheit des Orakels.
Während die Flügel des Tores mit einem mächtigen Donnern gegen die Felsen schlugen, bildete sich eine Gasse zum Thron, die Gasse des Gottgesandten. Die Zwerge wichen zurück, das Knie gebeugt, die Helme vor der Brust, und warteten darauf, dass der Hohepriester ihre Ängste zerstreute.
Nur Hrudgroll Schleuderstein blieb trotzig stehen, rieb sich fluchend seinen schmerzenden Schädel und betastete seinen angesengten Bart.
Der Ruf des Drachenhorns verhallte. Und alle Zwerge – abgesehen von Schleuderstein – wandten ihr Haupt gen Süden, wo in diesem Moment für gewöhnlich das zweibeinige Gedächtnis erschien, dem Licht ihrer Finsternis in vollem Ornat voranschritt und auf dem Weg zum Thron die beeindruckendsten seiner Titel zitierte. Heute jedoch nicht.
Heute lagen die Schatten einer finsteren Vorahnung über der Gasse des Gottgesandten, denn das zweibeinige Gedächtnis schritt allein in Richtung des Thrones! Seine Augen lagen tief in den Höhlen, waren von dunklen Ringen umgeben und huschten unruhig, geradezu ängstlich, über die umstehenden Zwerge. Und dabei trug das Gedächtnis keineswegs wie üblich den festlichen Ornat der Verkündung.
Halbnackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet, das Haar auf Arm und Rücken blutverschmiert und -verkrustet, ließ es mit jedem Schritt eine mehrschwänzige Feuersteinsplitterpeitsche auf seinen Rücken niedersausen. Das Klatschen der Riemen hallte unter der Felsenkuppel wider, und mit schmerzverzerrtem Gesicht schritt das Gedächtnis voran, den zitternden Mund mit aller Macht zusammengepresst. Seine Augen glänzten feucht, doch kein Ton kam über seine Lippen. Den gesamten Weg vom Südtor bis zum schwarzen Thron legte der unscheinbare, kurzbärtige Zwerg ohne einen einzigen Laut des Schmerzes zurück. Das einzige Geräusch, das düster von den Wänden widerhallte, war der stete Schlag der Peitsche. Die am Boden knienden Zwerge beobachteten den Büßer mit finsteren Mienen.
Das Gedächtnis allein auf dem Weg zum Thron… Derlei war noch nie geschehen! Und das verbissene Schweigen des Zwergs flößte den meisten von ihnen beinahe ebenso viel Furcht ein wie das Ausbleiben des Hohepriesters.
Dann endlich hatte das Gedächtnis den Thron erreicht. Es fiel vor dem Verwalter auf die nackten Knie, streckte die Arme von sich und warf sich auf die kalten polierten Fliesen nieder.
Die Stimme des Verwalters bebte. »Du magst sprechen.«
»Vergebt, oh Eiserner, dem unwürdigsten Gedächtnis, das jemals das Wissen des Ehernen Volkes und die mannigfaltige Bedeutsamkeit seines Gottgleichen bewahrt hat. Vergebt einem Gedächtnis, das seinen Herrn im Stich ließ, sich dadurch nichtswürdig und bedeutungslos machte und sich die Haut bis aufs Erz von den Knochen peitschen wird, um zu büßen für die Schmach, die es über das Eherne Volk gebracht hat.«
»Sprich, welcher Gestalt ist diese
Weitere Kostenlose Bücher