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Asylon

Asylon

Titel: Asylon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Elbel
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Krawatte, ausgenommen das
blütenweiße Hemd. Auf einer Kiste stehend, hielt er in raspelndem Tenor und mit
schwerem südländisch klingendem Akzent eine Art Ansprache.
    Der Anführer, dachte Torn.
    »So aber steht es in Exodus,
Kapitel 22, Vers 17«, rief der Mann auf der Kiste den anderen zu. »Die Zauberinnen
sollst du nicht am Leben lassen. Darum lasst uns auch an dieser Hexe den Willen
des Herrn vollstrecken.«
    Wundervoll. Eine Gruppe
fanatisierter Bibelfreaks war genau das, was ihm an diesem Tag noch gefehlt
hatte. Ein Mann im petroleumfarbenen Anzug und mit gelbem Bowler nahm auf ein
Zeichen des Anführers hin einen von drei Methanolkanistern auf und begann, eine
der Frauen mit dessen Inhalt zu übergießen. Durch den Knebel, den man ihr in
den Mund gesteckt hatte, waren ihre Verzweiflungsschreie nur als gurgelndes
Knurren zu vernehmen. Die Blicke ihrer zwei Leidensgenossinnen waren in einer
Mischung aus stummem Entsetzen und vorläufiger Erleichterung auf sie gerichtet.
Der Anführer bedeutete seinen Männern, von der Frau wegzugehen, während er ein
brennendes Feuerzeug in die Höhe hielt. Der Methanolgestank war so intensiv,
dass Torn fast erwartete, dass die Luft in Flammen aufgehen würde.
    Der Schuss krachte, bevor in Torn
die Erkenntnis sickerte, dass er selbst es war, der ihn abgab. Mit einem Mal
galt jedermanns Aufmerksamkeit ihm. Nur der Anführer wirkte unbeeindruckt, aber
Torn nahm beruhigt zur Kenntnis, dass er immerhin sein Feuerzeug zuschnappen
ließ. Unübersehbar hatte allerdings ein Kerl in schillernd blauem Dreiteiler
eine Maschinenpistole erhoben, mit der er in Torns Richtung zielte.
    Torn legte alle ihm zu Gebote
stehende Autorität in seine Stimme. »Ich bin Masterleveller Torn. Was ist hier
los? Was habt ihr mit diesen Frauen vor?«
    Nun richtete auch der Anführer
seine Aufmerksamkeit auf ihn. Zwei schwarze Augen in einem bronzefarbenen Gesicht
musterten Torn. Irgendetwas daran wirkte seltsam bekannt. Das Erstaunen darin
verwandelte sich bei Torns Anblick schnell in ein triumphierendes Grinsen.
    »Masterleveller Torn. So, so.«
    Seine Stimme triefte vor Ironie.
Torn war es gewöhnt, als notwendiges Übel betrachtet zu werden. Immerhin hatten
die Leveller das Recht, jedes Gangmitglied zu töten, das ihrer Meinung nach das
Gleichgewicht der Macht zwischen den Clans störte, und mussten sich
diesbezüglich nur gegenüber der Versammlung der Clanchefs verantworten. Torn
selbst war aufgrund seiner Erfolge vor drei Jahren vorzeitig zum
Masterleveller ernannt worden. Seitdem führte er eine fünf Mann starke Gruppe
an, die sich auf die Eliminierung von hochrangigen Clanmitgliedern
spezialisiert hatte. Da ihre Zielobjekte selten gewillt waren, sich wie Schafe
zur Schlachtbank führen zu lassen, und auch die betroffenen Clans nicht immer
bereit waren, sich dem Urteil der Leveller zu beugen, musste ein Leveller die
Fähigkeiten eines Auftragskillers mit dem taktischen Gespür eines
Armeegenerals verbinden. Ein guter Leveller wie Torn wurde gleichermaßen respektiert
wie gefürchtet.
    Der Mann, dem er sich nun
gegenübersah, schien ihm allerdings weder das eine noch das andere Gefühl
entgegenzubringen.
    Torn und Scooter hatten sich der
Gruppe bis auf einen Meter genähert. Der Boden war mit Methanol getränkt. Neben
den drei Frauen prangte ein rußiger, schwarzer Fleck auf dem Asphalt. Eine Schmauchspur
ging von ihm aus und verlief weiter in jene Richtung, aus der Torn und Scooter
gerade gekommen waren. Der Anblick ließ Torn den Atem stocken. Er sah auf. Das
Grinsen des Mannes war noch breiter geworden. Er verbeugte sich und lüpfte den
Hut mit theatralischem Gestus. »Emiliano Sputano, zu ihren Diensten, Signore.«
    Der Name durchfuhr Torn wie ein
Blitz. Es muss der jüngste Bruder sein, der einzige
überlebende Sohn.
    Langsam richtete sich der Mann
wieder auf und heftete seinen Blick auf Torn. »Ich habe von dem großen Dienst
gehört, den Sie unserer famiglia erwiesen haben, Signore.«
Die zornige Glut seiner schwarzen Augen strafte sein mildes Lächeln Lügen.
»Seitdem war es mein innigster Wunsch, Ihnen meinen ganz persönlichen Dank
auszusprechen. Wie überaus zuvorkommend, Signore, dass Sie es mir ersparen, Sie
aufsuchen zu müssen.«
    Er trat auf Torn zu, bis er dicht
neben ihm stand, und Torn konnte die barocken Muster erkennen, die irgendein
kunstfertiger Barbier in seinen dichten Backenbart getrimmt hatte.
    »Ich sehe an deinem Blick,
Masterleveller, dass du darauf brennst, an

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