Aszendent Blödmann
Tiefschlag in meine Richtung aus: »Bis auf Weiteres teilen Sie sich ein Büro. Melina, seien Sie bitte so nett und nehmen Sie Kai unter Ihre Fittiche.«
Was, ich?? Ausgerechnet ich? Das wurde ja immer besser! Schlimm genug, dass Ilka mir diesen Kotzbrocken einfach so vor die Nase gesetzt hatte, jetzt wurde er sogar noch in meinem Büro einquartiert. Sollte ich ihm womöglich noch ein paar Semmeln schmieren oder die Rotznase putzen?
Keine Ahnung, was im weiteren Verlauf des Meetings besprochen wurde. Möglicherweise wurde über das Pro und Contra von Männerparkplätzen diskutiert oder die Einstellung von nackt putzenden Zimmermädchen beschlossen. Vielleicht wurde aber auch nur der übliche langweilige Kram besprochen. Was mich betraf, hätte der Rest der Sitzung ebenso gut auf Kroatisch oder Arabisch abgehalten werden können – ich bekam eh nichts davon mit. Ich war viel zu sehr damit beschäftigt, die aufsteigende Erinnerung zu verdrängen. Gar nicht so leicht, wenn die Geister der Vergangenheit sich nicht mehr damit begnügen, des Nachts im Kopf herumzuspuken, sondern neben einem quietschfidel den Plätzchenteller leer mampfen.
Ich musterte Kai möglichst unauffällig aus einem Augenwinkel. Gerade schenkte Isabell ihm eine Tasse Kaffee ein, in die er nacheinander drei Stücke Zucker plumpsen ließ. Widerwillig musste ich zugeben, dass Kai immer noch ziemlich gut aussah. Braune, fast schwarze Augen, der gleiche Farbton wie Zartbitterschokolade. Möglicherweise hatte er um die Hüften herum ein bisschen zugelegt. Kein Wunder, bei dem Zuckerkonsum! Mein Blick wanderte weiter über seine muskulösen Arme bis zu seinen Händen. Kein Ring. Aber das musste nichts heißen. Ich kannte viele Männer, die dieses symbolträchtige Schmuckstück daheim warm und trocken in der Schublade liegen hatten. Entweder aus Vergesslichkeit oder weil der Ring sie angeblich störte. Wobei er störte, blieb der Fantasie der Ehefrauen überlassen …
»So, das war’s dann für heute«, schloss Conrad die Sitzung. »Ich wünsche Ihnen allen, und mir natürlich auch, einen schönen Tag und eine erfolgreiche Woche.«
Nichts wie raus! So schnell mich meine Beine trugen, floh ich aus dem Konferenzraum. Abgesehen von dem Bedürfnis, Kai den Hals umzudrehen, hatte ich nur einen Wunsch: meiner besten Freundin mein Herz auszuschütten. Und so nutzte ich die erste Rückzugsmöglichkeit, die sich mir bot: die Damentoilette.
Ich fühlte mich so erschöpft, als hätte ich einen mehrstündigen Marathonlauf hinter mir. Ermattet lehnte ich mich mit dem Rücken gegen die kalten Fliesen des Vorraums und schaute in den Spiegel, wo mir ein Paar große blaue Augen fassungslos entgegenstarrten. Warum?! Warum zum Kuckuck trifft man sich im Leben immer zwei Mal? Im Fall von Kai Hoffmann war ein Mal schon mehr als genug! Vielleicht wollte der liebe Gott mich für irgendwas bestrafen. In der Bibel war von sieben Plagen die Rede – demnach musste Kai die achte sein.
Ich lockerte den Griff, mit dem ich mein Handy wie einen Rettungsring umklammert hielt. Dann wählte ich Charlottes Nummer. Geh ran, geh ran, betete ich. Doch meine Freundin war weder zu Hause noch auf ihrem Handy zu erreichen. Wahrscheinlich auch besser so. Denn erstens ließen sich so prekäre Dinge viel besser persönlich besprechen, und zweitens wurde mir plötzlich bewusst, dass ich nicht allein war. Zwar befand sich außer mir niemand im Vorraum, doch in den Toilettenkabinen wurde hinter verschlossenen Türen heftig debattiert.
Das war keine Seltenheit, denn nirgendwo sonst wird die Bezeichnung »stilles Örtchen« so ad absurdum geführt wie auf einer Damentoilette. Was das betraf, war unser Hotel keine Ausnahme. Meist pilgerten die Kolleginnen in organisierten Kleingruppen zum Pipimachen. Hinter der weißen Tür mit der Doppelnull befand sich der Hauptumschlagplatz für Informationen, hier wurde aus dem Nähkästchen geplaudert, der neuste Klatsch und Tratsch ausgetauscht oder einfach nur ein bisschen über das neue Outfit einer Kollegin gelästert.
»Was für ein Wochenstart. Ich habe mir ja fast schon gedacht, dass Norbert nicht mehr ins Hotel zurückkommen wird«, tönte es in diesem Moment aus der Kabine schräg gegenüber vom Waschbecken. Durch den offenen Spalt unter der Toilettentür sah ich ein Paar schwarze Stiefel und gleich nebenan zwei mokkafarbene Sneakers.
»Man kann von Ilka ja halten, was man will, aber für eine Überraschung ist die Fürstin der Finsternis immer
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