Atlan TH 0007 – Flucht der Solaner
waren nun so nahe, dass sie noch mehr Details ausmachen konnten. Viorvarden war im Grunde genommen eine wilde Ansammlung von Gebäuden aller Art. Durchgehende Straßenzüge oder irgendwelche Planung beim Errichten der Bauten schien es nicht zu geben. Jede Rasse wandte in der Stadt ihren eigenen Baustil an, und die über die Jahrhunderte erfolgte Durchmischung der ethnischen Gruppen sorgte für ein scheinbar unentwirrbares Chaos.
Die Unterschiede waren freilich nicht nur eine Folge multikultureller Diffusion, sondern auch unterschiedlicher materieller Möglichkeiten, was sich vor allem in den diversen Slums ausdrückte, die in der Nähe des Hafens begannen und sich wie ein breites, narbiges Band bis zum anderen Ende der Stadt zogen, wo sie sich weiter ausbreiteten. Die kleineren Ansiedlungen waren, sofern man es von hier aus beurteilen konnte, von solch krassen Gegensätzen weitgehend verschont geblieben.
Sie flogen relativ niedrig über die Hafenanlagen hinweg. Dort lagen die verschiedensten Wasserfahrzeuge vertäut.
»Einige der hier lebenden sogenannten Altwesen gehen auf Fischfang, und jeder tut das auf die Weise, die er für richtig hält«, kommentierte Ceranyl. »Auf den ersten Blick ein heilloses Chaos, nicht wahr? Aber die Herren der Stadt haben alles im Griff. Politik wird mit der Faust gemacht, und wenn das nicht genügt, spricht das Schwert.
Vielleicht habt ihr die landwirtschaftlichen Flächen rund um die Stadt gesehen, die in der Regel von Altwesen aus den kleineren Ansiedlungen bestellt werden. Auch sie bieten ein einigermaßen chaotisches Bild – bei näherer Betrachtung. Immer wieder entstehen regelrechte Kleinkriege zwischen den Dörflern, die als Wesen zweiter Klasse, und den Slumbewohnern, die als Wesen dritter Klasse gelten. Statt sich auf der fremden Welt zu solidarisieren, bekämpfen sie einander.«
»Und der Herr in den Kuppeln schaut zu?«, erkundigte sich Atlan bitter. »Was sagt er zu diesen unhaltbaren Zuständen? Wenn er sich so sehr langweilt, hätte er hier ein reichhaltiges Betätigungsfeld. Es wäre für ihn ein Leichtes, mit ein paar Robotern einzugreifen und für geordnete Verhältnisse zu sorgen.«
Der Missgebaute ging nicht auf die Worte des Arkoniden ein.
Der Gleiter verließ das Hafenviertel und steuerte auf ein großes, verschachteltes Gebäude zu. Es sah aus, wie von einem gedankenlosen Kind aus allerlei Baumaterialien zusammengefügt. Buntes Glas herrschte vor. Auf der unregelmäßigen Dachkonstruktion gab es Aufbauten, die wie knorrige Baumrinde aussahen, dazu schornsteinartige, krumme Erhebungen, Regenrinnen, die jedoch das Wasser nicht etwa vom Dach ableiteten, sondern es vielmehr zu sammeln schienen, Schiebeöffnungen verschiedener Farbe und aus verschiedenem Material und um das Gebäude herum jede Menge Teiche mit brackigem Wasser.
Ein buntes, unsagbar hässliches Märchenschloss, umgeben von exotischen Pflanzen, wie Atlan sie auf Mausefalle VII bisher noch nirgendwo gesehen hatte.
Ausgerechnet dieser architektonische Albtraum schien ihr Ziel zu sein.
Das Gebäude hatte ungeheure Ausdehnungen. Das wurde den Passagieren des Gleiters erst in vollem Umfang klar, als sie so nahe waren, dass sie Vergleiche anstellen konnten. Der bizarre Palast hatte an der breitesten Stelle einen Durchmesser von mindestens hundert Metern. Kein Wunder, dass sogar Teiche auf dem Dach Platz fanden.
Atlan bildete sich bereits ein, das Wasser riechen zu können. Er musste sich zusammenreißen, und das nicht nur deshalb, weil sie in diesem Gebäude womöglich ein Verbündeter erwartete, sondern vor allem, weil es falsch war, einem fremden Lebewesen allein ob seiner natürlichen Gewohnheiten und Neigungen mit Vorurteilen zu begegnen.
Der Gleiter steuerte einen kleinen freien Platz an, der von einer hohen Mauer abgegrenzt war und somit von der Straße aus nicht eingesehen werden konnte.
Überhaupt hatten sie mit dem Gleiter wenig Aufsehen erregt, obwohl er weit und breit das einzige Fluggerät zu sein schien. Jeder schien nur mit sich selbst beschäftigt zu sein. Alles andere interessierte nicht. Atlan und seinen Gefährten konnte das nur recht sein.
»Soll ich auf euch warten?«, fragte Rallye-Ede, als sie gelandet waren.
»Nein«, entschied Ceranyl, »du kannst dir die Umgebung ansehen. Ich werde dich bei Bedarf rufen.«
Inzwischen waren alle ausgestiegen. Der Gleiter erzeugte ein rhythmisches Pochen mit seinen Sprechmembranen. Dann stimmte er einen scheußlichen Gesang
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