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Atlantis

Titel: Atlantis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sitz knarren, ich roch Zigarettenrauch und den Kiefernnadelduftspender, der am Rückspiegel hing, und inzwischen stöhnte ich ebenfalls, ich weiß nicht, was, die Platters sangen »Each day I pray for evening just to be with you«, und dann ging es los. Die Pumpe schaltet sich voll Ekstase ein. Ich schloss die Augen, ich hielt Carol mit geschlossenen Augen fest und drang so in sie ein, so, wie man’s macht, am ganzen Körper zitternd, hörte meine Schuhabsätze ein spastisches Signal gegen die Fahrertür trommeln, dachte, dass ich das tun könnte, selbst wenn ich jetzt stürbe, selbst wenn ich jetzt stürbe, selbst wenn ich jetzt stürbe; dachte auch, dass das Informationen waren. Die Pumpe schaltet sich voll Ekstase ein, die Karten fallen, wo sie fallen, die Welt bleibt nicht eine Sekunde lang stehen, die Dame versteckt sich, die Dame wird gefunden, und das waren alles Informationen.

25
    Am nächsten Vormittag hatte ich eine kurze Unterredung mit meinem Geologiedozenten, der mir erklärte, ich geriete »allmählich in eine ernste Lage«. Das ist nicht gerade eine neue Information, Nummer 6, wollte ich ihm entgegnen, tat es aber nicht. Die Welt sah an diesem Vormittag anders aus - besser und schlechter zugleich.
    Als ich in die Chamberlain zurückkam, fand ich Nate vor, der sich gerade für die Heimfahrt fertig machte. Er hatte seinen Koffer in der Hand. Auf dem Koffer war ein
Aufkleber mit der Aufschrift ICH HABE DEN MOUNT WASHINGTON BESTIEGEN. Über der Schulter trug er einen Seesack voller schmutziger Klamotten. Wie alles Übrige sah auch Nate jetzt anders aus.
    »Schönes Thanksgiving, Nate«, sagte ich, öffnete meinen Schrank und fing an, willkürlich Hosen und Hemden herauszureißen. »Iss ordentlich von der Füllung. Du bist verdammt zu mager.«
    »Mache ich. Und auch von der Preiselbeersoße. Als ich in der ersten Woche ganz schlimmes Heimweh hatte, konnte ich praktisch nur an die Soße meiner Mutter denken.«
    Ich stopfte meinen eigenen Koffer voll und dachte, ich könnte Carol zum Busbahnhof in Derry bringen und dann einfach weiterfahren. Wenn auf der Route 136 nicht zu viel Verkehr war, konnte ich vor Einbruch der Dunkelheit zu Hause sein - und vielleicht sogar auf ein Glas Rootbeer in Frank’s Fountain vorbeischauen, bevor ich auf der Sabbatus Road zu unserem Haus fuhr. Auf einmal gab es für mich nichts Wichtigeres, als von hier zu verschwinden - von Chamberlain Hall und Holyoke Commons, von der ganzen verdammten Universität. Du bist verwirrt, Pete, hatte Carol am vergangenen Abend im Auto gesagt. Du weißt nicht, was du willst oder was du denkst, und du wirst es auch nicht wissen, solange du mit diesem Kartenspiel weitermachst.
    Nun, jetzt hatte ich die Chance, von den Karten loszukommen. Es tat weh, zu wissen, dass Carol wegging, aber ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass das in diesem Moment ganz oben auf der Liste der Dinge stand, die mich beschäftigten. Ganz oben stand in diesem Moment
der Wunsch, vom Aufenthaltsraum im zweiten Stock wegzukommen. Von der Schlampe wegzukommen. Wenn du in diesem Dezember von der Uni fliegst, bist du im nächsten Dezember wahrscheinlich im Dschungel. Meld dich mal, Baby, man sieht sich, wie Skip Kirk es für gewöhnlich formulierte.
    Als ich den Koffer verschloss und mich umschaute, stand Nate immer noch in der Tür. Ich zuckte zusammen und stieß ein leises, überraschtes Quieken aus. Es war, als würde man von Banquos verdammtem Geist heimgesucht.
    »He, mach schon, verzieh dich«, sagte ich. »Die Zeit wartet auf niemanden, nicht mal auf einen angehenden Zahnarzt.«
    Nate stand nur da und sah mich an. »Du wirst vom College fliegen«, sagte er.
    Wieder ging mir durch den Kopf, wie unheimlich ähnlich sich Nate und Carol waren - fast die männliche und die weibliche Seite ein und derselben Münze. Ich versuchte zu lächeln, aber Nate lächelte nicht zurück. Sein Gesicht war klein, weiß und verkniffen. Das perfekte Yankee-Gesicht. Wenn man einen mageren Burschen sieht, der immer einen Sonnenbrand kriegt, statt braun zu werden, für den das höchste der Gefühle in puncto Eleganz eine schmale Krawatte und eine satte Portion Pomade ist, einen Burschen, der aussieht, als hätte er seit drei Jahren nicht mehr richtig geschissen, dann ist es jemand, der höchstwahrscheinlich nördlich von White River, New Hampshire, geboren und aufgewachsen ist. Und seine letzten Worte auf dem Totenbett lauten vermutlich »Preiselbeersoße«.
    »Nein«, sagte ich.

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