Atlantis
wahrscheinlich denken können, und eine Viertelstunde, nachdem sie hereingekommen war, war Annmarie aus dem Haus und aus meinem Leben verschwunden. Meld dich mal, Baby, man sieht sich. Ungefähr zur Zeit von Woodstock heiratete sie einen Versicherungsagenten aus Lewiston und wurde Annmarie Jalbert. Sie haben drei Kinder und sind immer noch verheiratet. Ich nehme an, das ist gut, oder? Und selbst wenn nicht, muss man zugeben, dass es verdammt noch mal ziemlich amerikanisch ist.
Ich stand am Fenster über der Spüle in der Küche und sah zu, wie die Heckleuchten von Mr. Soucies Lieferwagen auf der Straße verschwanden. Ich schämte mich - Herrgott, wie ihre Augen groß geworden waren, wie ihr Lächeln verblasst war und ihr Mund zu zittern begonnen hatte -, aber ich war auch beschissen glücklich, widerlich erleichtert; ich fühlte mich so leicht, dass ich die Wände hoch und an der Decke hätte entlangtanzen können wie Fred Astaire.
Hinter mir ertönten schlurfende Schritte. Ich drehte mich um, und da war mein Dad in seinen Pantoffeln und taperte in seinem langsamen Schildkrötengang übers Linoleum. Er hatte eine Hand vor sich ausgestreckt. Die Haut an der Hand begann, wie ein großer, weiter Handschuh auszusehen.
»Hab ich da gerade gehört, wie eine junge Dame einen jungen Mann als mieses Arschloch bezeichnet hat?«, fragte er in einem milden, beiläufigen Plauderton.
»Na ja … ja.« Ich trat von einem Fuß auf den anderen. »Kann schon sein.«
Er machte den Kühlschrank auf, tastete darin herum und holte den Krug mit dem roten Tee heraus. Er trank ihn ohne
Zucker. Ich habe ihn gelegentlich auch so getrunken und kann Ihnen sagen, dass er fast nach gar nichts schmeckt. Meine Theorie lautet, dass mein Vater immer den roten Tee trank, weil der die leuchtendste Farbe im Kühlschrank hatte und mein Vater immer wusste, worum es sich handelte.
»Die kleine Soucie, nicht wahr?«
»Ja, Dad. Annmarie.«
»Die Soucies sind alle jähzornig, Pete. Hat mit der Tür geknallt, nicht wahr?«
Ich lächelte. Ich konnte nicht anders. Es war ein Wunder, dass die Glasscheibe in der armen alten Tür heil geblieben war. »Glaub schon.«
»Du hast sie da oben am College gegen ein neueres Modell eingetauscht, nicht wahr?«
Das war eine ziemlich komplizierte Frage. Die schlichte - und letztlich vielleicht zutreffendste - Antwort lautete, dass ich das nicht getan hatte. Das war die Antwort, die ich ihm gab.
Er nickte, holte das größte Glas aus dem Schrank neben dem Kühlschrank und machte dann Anstalten, den Tee trotzdem über die Arbeitsplatte und seine Füße zu gießen.
»Lass mich das machen«, sagte ich. »Okay?«
Er antwortete nicht, sondern trat zurück und ließ mich den Tee einschenken. Ich drückte ihm das dreiviertelvolle Glas in die Hände und stellte den Krug wieder in den Kühlschrank.
»Schmeckt er dir, Dad?«
Nichts. Er stand nur da, das Glas in beiden Händen, so wie ein Kind ein Glas hält, und trank mit kleinen Schlucken. Ich wartete, kam zu dem Schluss, dass er nicht antworten würde, und holte meinen Koffer aus der Ecke. Ich
hatte meine Lehrbücher auf meine Kleider geworfen, und jetzt holte ich sie heraus.
»Willst du schon am ersten Ferienabend lernen?«, sagte Dad zu meiner Verblüffung - ich hatte fast vergessen, dass er da war. »Herrje.«
»Na ja, ich bin in ein paar Kursen ein bisschen im Rückstand. Die Lehrer gehen erheblich schneller vor als auf der Highschool.«
»College«, sagte er. Eine lange Pause. »Du bist auf dem College.«
Es schien beinahe eine Frage zu sein, deshalb sagte ich: »Das ist richtig, Dad.«
Er stand noch eine Weile da und schien mir zuzusehen, wie ich meine Bücher und Notizbücher aufstapelte. Vielleicht sah er mir wirklich zu. Vielleicht stand er aber auch einfach nur da. Man konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Endlich schlurfte er zur Tür, den Hals vorgereckt, die schützende Hand leicht erhoben, die andere Hand - die mit dem Glas roten Tees - an die Brust gedrückt. An der Tür blieb er stehen. Ohne sich umzudrehen, sagte er: »Gut, dass du mit der kleinen Soucie Schluss gemacht hast. Die Soucies sind alle jähzornig. Man kann sie rausputzen, aber nirgends mit ihnen hingehen. Du kriegst noch was Besseres.«
Er ging hinaus und drückte sich dabei das Glas Tee an die Brust.
28
Bis mein Bruder und seine Frau aus New Gloucester kamen, lernte ich wirklich, holte in Soziologie die Hälfte auf und ackerte mich durch vierzig Seiten Geologie, alles in drei
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