Atlantis
Vergangenheit immer gegenwärtig ist. Und als Nächstes haben wir Clyde McPhatter mit der Frage eines Liebenden, ›A Lover’s Question‹.«
Du hast gewusst, dass sie kommen würde, wenn sie noch am Leben war. Du hast es gewusst .
Natürlich; war er nicht genau deshalb selbst hergekommen? Sicherlich nicht wegen Sully, oder nicht nur wegen Sully. Und doch war er gleichzeitig überzeugt gewesen, dass sie tot war. Von dem Moment an, als er das Bild dieses ausgebrannten Hauses in Los Angeles gesehen hatte, war er sich absolut sicher gewesen. Und wie ihm das wehgetan hatte - nicht so, als hätte er sie vor vierzig Jahren zum letzten Mal gesehen, als sie über die Commonwealth Avenue lief, sondern als wäre sie bis zu diesem Tag seine Freundin geblieben, nur einen Telefonanruf oder ein paar Schritte die Straße hinauf entfernt.
Während er noch das schwebende Sonnenfleck-Nachbild wegzuzwinkern versuchte, das ihm vor den Augen hing, küsste die Frau ihn fest auf den Mund und flüsterte ihm dann ins Ohr: »Ich muss nach Hause, den Salat machen. Was ist das?«
»Das Letzte, was du zu mir gesagt hast, als wir noch Kinder waren«, erwiderte er und drehte sich zu ihr. »Du bist gekommen. Du lebst, und du bist gekommen.«
Das Licht der untergehenden Sonne fiel auf ihr Gesicht, und das Nachbild hatte sich so weit verflüchtigt, dass er sie sehen konnte. Sie war schön, trotz der Narbe, die sich von ihrem rechten Augenwinkel in einem grausamen Fischhaken zu ihrem Kinn hinabzog … oder vielleicht gerade deswegen. Die Haut neben ihren Augen war von winzigen Krähenfüßen gezeichnet, aber sie hatte keine Falten auf der Stirn oder um ihren ungeschminkten Mund.
Bobby sah erstaunt, dass ihre Haare fast vollständig ergraut waren.
Als läse sie seine Gedanken, streckte sie die Hand aus und berührte seinen Kopf. »Was für ein Jammer«, sagte sie … aber er glaubte, ihre alte Fröhlichkeit in ihren Augen tanzen zu sehen. »Du hattest so prachtvolles Haar. Rionda hat immer gesagt, ich sei zur Hälfte in dein Haar verliebt.«
»Carol …«
Sie streckte die Hand aus und legte ihm die Finger auf die Lippen. Bobby sah, dass sie auch an der Hand Narben hatte, und ihr kleiner Finger war missgebildet, fast geschmolzen. Das waren Brandnarben.
»Wie gesagt, ich kenne keine Carol. Mein Name ist Denise. Wie in dem alten Song von Randy and the Rainbows,
kennst du den noch?« Sie summte ein paar Töne. Bobby kannte ihn gut. Er kannte die Oldies alle. »Wenn du meine Identität überprüfen würdest, fändest du überall nur Denise Schoonover. Ich hab dich beim Gottesdienst gesehen.«
»Ich dich nicht.«
»Ich bin gut darin, nicht gesehen zu werden«, sagte sie. »Das ist ein Trick, den mir jemand vor langer Zeit beigebracht hat. Der Trick, nur undeutlich sichtbar zu sein.« Sie schauderte ein wenig bei dieser Formulierung. Bobby hatte von Leuten gelesen, die schauderten - meistens in schlechten Romanen -, aber er hatte nie jemanden gesehen, der es wirklich tat. »Und was Menschenaufläufe angeht, so bin ich gut darin, ganz hinten zu stehen. Der arme alte Sully-John. Erinnerst du dich an seinen Bolo-Bouncer?«
Bobby nickte, und ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. »Ich weiß noch, wie er mal versucht hat, ganz besonders cool mit dem Ding zu sein, und es nicht nur unter den Armen und hinter dem Rücken, sondern auch zwischen den Beinen durchwandern lassen wollte. Hat sich einen satten Schlag in die Eier verpasst, und wir hätten uns beinahe totgelacht. Ein paar Mädchen sind angelaufen gekommen - ich bin mir ziemlich sicher, dass du auch dabei warst - und wollten wissen, was passiert sei, aber wir wollten es euch nicht erzählen. Ihr wart ziemlich sauer.«
Sie lächelte und hob dabei eine Hand an den Mund, und in dieser alten Geste sah Bobby ganz deutlich das Kind, das sie gewesen war.
»Wie hast du von seinem Tod erfahren?«, fragte Bobby.
»Hab’s in der New Yorker Post gelesen. Da war eine dieser schrecklichen Schlagzeilen, die ihre Spezialität sind - RAMBOZAMBA hieß sie -, mit Bildern von ihm. Ich wohne
in Poughkeepsie, wo man die Post regelmäßig kriegt.« Sie hielt inne. »Ich unterrichte am Vassar College.«
»Du unterrichtest am Vassar und liest die Post? «
Sie zuckte lächelnd die Achseln. »Wir haben alle unsere Laster. Und du, Bobby? Hast du’s auch in der Post gelesen?«
»Bei uns gibt’s die Post nicht. Ted hat es mir gesagt. Ted Brautigan.«
Sie saß nur da und sah ihn an. Ihr Lächeln
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