Atommuell - Die Suche nach dem Endlager
Franzosen zum Tempo, mit dem sich radioaktive Partikel im Ton verteilen, zu optimistisch. Jahrzehntelang müsse man dies noch ergründen. Denn die geplante Deponie liegt nicht weit von einem unterirdischen Wassernetz entfernt, dessen Fracht von La Meuse nach Westen rinnt. Bis unter Paris.
Die von immer mehr Wissenschaftlern geforderte Rückholbarkeit des Abfalls, egal aus welcher Deponieart und am besten über Jahrhunderte, wird deshalb nicht nur die Deutschen beschäftigen. „Daran kommen wir nicht vorbei“, sagt auch der Schweizer Marcos Buser. Denn: „Jede Anlage funktioniert in der Wirklichkeit anders als auf dem Papier.“
Von Strahlenkatzen und Atompriestern
Die verbreitete Hilflosigkeit der Experten offenbart sich auch in einer anderen Frage: Sollte man die strahlenden Lager lieber unkenntlich versiegeln, damit dort nicht in ein paar Tausend Jahren jemand zu graben beginnt, aus Neugier oder aus archäologischem Interesse an der Welt des 21. Jahrhunderts? Oder sollte man die Menschen von morgen mit Hinweisen vor der gefährlichen Deponie warnen? Und wie sollte das Wissen um das Gift überliefert werden in eine Zukunft, in der Naturgewalten oder gesellschaftliche Entwicklung die menschliche Zivilisation von Grund auf verändert haben dürften?
Zwei Pariser Wissenschaftler hatten dazu allen Ernstes die Idee, am Ort eines Endlagers genetisch veränderte Katzen zu züchten, deren Nachkommen auf ewig Gefahr signalisieren würden: Unter dem Einfluss von Strahlung sollte sich ihre Haut verfärben. Andere tüftelten an Symbolen, deren Sinn auch in 10000 Jahren noch verstanden werden könnte. Eine Kommission im Auftrag des US-Energieministeriums veröffentlichte 1991 eine Studie dazu. Die Forscher empfahlen, ein Gestrüpp aus monumentalen Granitstacheln über Atommüll-Lagern zu errichten. Und Warntafeln in sieben Sprachen – so sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass sich die Mahnung noch entziffern lassen würde, wenn die Sprachen selbst verschwunden seien. So hatten Ägyptologen ja auch die pharaonischen Hieroglyphen erst anhand des dreisprachigen „Rosetta-Steins“ entschlüsseln können.
Der skurrilste Vorschlag stammt aus den 1980er Jahren, zu Papier gebracht unter anderem vom amerikanischen Zeichenkundler und Linguisten Thomas Sebeok. Man könne doch um das nukleare Erbe einen Kult spinnen, behütet von einer Art Priesterschaft mit wissenschaftlicher Ausbildung. Dahinter stand der Gedanke, dass sich religiöse Vorstellungen in der Menschheitsgeschichte als besonders zählebig erwiesen haben. Im Gegensatz zu Technikwissen: Schon heute wisse doch niemand mehr, wie die Erbauer von Stonehenge ihre Steine aufgetürmt haben, schreibt der Philosoph Robert Spaemann. „Man konnte dieses Wissen nicht über so lange Zeiträume weitergeben.“
Wenn aber die Gelehrten schon bei der Beschilderung zu keinem Ergebnis kommen – ist dann der Endlagerbau im Untergrund nicht vielleicht grundsätzlich ein Projekt jenseits der derzeitigen Fähigkeiten unserer Zivilisation?
»Zwischenendlager«– ein denkbarer Ausweg?
Das Industriegebiet Vlissingen-Oost an der Mündung der Westerschelde liegt gleich hinterm Deich. Am Himmel kreist ein Bussard, ein Fasan kreuzt die Ringstraße, Windräder summen in der Nordseebrise. Ein Idyll. Wären da nicht: ein Chemie-Unternehmen, eine Aluminiumhütte, ein Gas-, ein Kohle-, ein Atomkraftwerk. Und die COVRA. Im Auftrag der niederländischen Regierung verwahrt die Centrale Organisatie Voor Radioactief Afval den Nuklearmüll des Landes. Für die Beschilderung wählte man eine einfache Lösung: leuchtende Farben.
Im Zentrum des Geländes strahlt wie ein fremdartiger Solitär ein großer, fensterloser Bunker in Hollands Nationalfarbe Orange. Darauf, in Schockgrün, sind in riesigen Lettern Formeln geschrieben. Einsteins E = mc 2 , nach der Energie (E) und Masse (m) eines Körpers nur die zwei Seiten einer Gleichung sind. Und Max Plancks Formel E = hv, die die Frequenz (v) elektromagnetischer Strahlung mit der Energie (E) ihrer Photonen verknüpft – also zeigt, dass Strahlung sowohl Wellen- als auch Teilcheneigenschaften hat. „Unser Langzeitzwischenlager für mittel- und hochaktive Abfälle“, sagt Ewoud Vincent Verhoef, „ist das sicherste Gebäude des Landes.“
Langzeitzwischenlager? „Die Anlage ist für eine Lebensdauer von wenigstens 300 Jahren konstruiert“, erläutert Verhoef. „Der nukleare Abfall wird hier mittelfristig sicher verwahrt sein. So lange eben, bis wir ein
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