Auch Deutsche unter den Opfern
seiner ersten Live-Platte, ins Karaoke-Mikrophon: »Ihr bringt mich um, wisst ihr das? Also, ich wär’ enttäuscht, wenn das nicht so wäre. Danke, ihr seid wahnsinnig, wahnsinnig« – in einer Karaoke-Bar ist das ganz lustig. Weil ich ja nicht Westernhagen bin.
Aber er ist doch Westernhagen, oder nicht?
»Was wollt ihr hören?«, fragte er auf seiner ersten Live-Platte vor dem Lied »Lass uns leben«, woraufhin alle durcheinanderriefen, jeder wollte irgendwas hören – und Westernhagen sang dann einfach genau das Lied, das auf der Setlist stand, die Frage war damals ein rhetorisches Mätzchen. Heute ist sie ernst gemeint. Wie phänomenal schlecht gewählt für dieses Projekt allein der Titel ist, »Wunschkonzert«: Dass das Leben keins sei, so geht der Spruch. Manchmal sagt auch ein Berliner Großkoalitionär, wenn mal wieder irgendwas im Kompromiss-Elend gestrandet ist: Große Koalition ist kein Wunschkonzert. Wunschkonzert also als derTraumzustand – man kann machen, was man will. Aber doch nicht, was »die anderen« wollen, eben doch genau das nicht! »Damenwahl« heißt ja auch nicht, dass der Mann sich die Dame auswählt. Von einem Rockstar aber erwarte ich genau dieses, der soll die Lieder (und meinetwegen die Frauen) auswählen. Alles andere kann ich selbst.
Grönemeyer, der seit »Mensch« eine eigene, unerreichbare Kategorie ist, genießt das Privileg später Hits, frühe Glanz- wie Schandtaten bewertet man da naturgemäß locker. So beantwortete er bei der »Was muss muss«-Präsentation die Frage, auf welchen der Hits er für die vorliegende Auswahl am leichtesten hätte verzichten können, mit königlicher Gelassenheit: Och, »Männer« vielleicht. Potzblitz, diesen Monsterhit? Ja, nach all den Jahren würde er den heute in Konzerten eher parodistisch singen. Strahlender Herbert: Sein Männerbild habe sich, hehe, mittlerweile etwas gewandelt.
Grönemeyers Best Of wird sehr lange auf Platz eins herumstrahlen. Und Westernhagen? Nun, der hat jetzt ein paar Fan-Adressen. Aber bei einem Sänger, der die Wünsche seines Publikums befolgt, ist kaum mehr von Kunst, eher bloß noch von Marktforschung zu sprechen. Auch wenn Karl Lagerfeld oder Bryan Adams das Cover-Foto macht, ja.
Trotzdem, wenn mal wieder jemand die Nase rümpft, sobald der Name Westernhagen fällt, werde ich wie eh und je einwenden: Aber die alten Sachen! Und dann werde ich zwei, drei Lieder aufsagen oder, je nach Tageszeit und Umgebung, auch singen. Jawohl, und bei der nächsten Modenschau werde ich Tim Renner liebe Grüße an seinen »Herrn Westernhagen« auftragen, der solle bitte mal sein eigenes Lied »Lady« von 1980 wieder hören, in dem er so weise eine sich zierende »Hanseatentochter« anmault: »Doch wenn ich auch nur Müller heiße / So bin ich doch am leben.«
Grönemeyer erzählte auf seinem »Was muss muss«-Podest kichernd, wie dem jungen Herbert der Künstlername »Herbie Green« empfohlen wurde. Vielleicht sollte Westernhagen einfach seinen Müller wieder anlegen und noch mal von vorn beginnen. Ein Bindestrich im Nachnamen kann was sehr Schönes sein.
[ Inhalt ]
Straßenwahlkampf: Die Linke
Zwei von drei Problemen habe sie heute schon gelöst, sagt Petra Pau zur Begrüßung, als sie eine Dreiviertelstunde zu spät am Wahlkampfstand ihrer Partei vor der Agentur für Arbeit in Marzahn-Hellersdorf erscheint. Sie schiebt sich die Sonnenbrille in ihre lustige rote Bürstenfrisur, denn vor der Arbeitsagentur steht man passenderweise im Schatten. Zwei von drei Problemen, nicht schlecht, denkt man, was könnte das sein, das sie so früh am Morgen schon hat klären können, ihre Partei ist ja auf den Plakaten nicht gerade kleinmäulig – Reichtum für Afghanistan?
Nein, ein paar Nummern kleiner: In diesem Bezirk, in dem sich Petra Pau um das Direktmandat bewirbt, herrsche medizinische Unterversorgung, und es sei ihr gelungen, zwei bislang unbehandelten Patienten einen Arzttermin zu organisieren. Eine andere Bürgerin (das dritte, das ungelöste Problem) mache sich Sorgen um die Lehrstelle ihres Enkels; Petra Pau hat einen Termin »für nach den Wahlen« mit ihr vereinbart. Bis zum nun endlich kommenden Wahlsonntag habe sie keine freie Minute, »es muss um jede Stimme gekämpft werden«, und »apropos Stimme«, die von Lafontaine sei übrigens wahlkampfbedingt lädiert, deshalb habe sie ihn gestern bei einer Veranstaltung in Treptow-Köpenick vertreten müssen, Gysi hatte sie am späten Sonntagabend telefonisch darum
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