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Auch Deutsche unter den Opfern

Auch Deutsche unter den Opfern

Titel: Auch Deutsche unter den Opfern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Stuckrad-Barre
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eigentlich? Rock ja eigentlich nicht. Grönemeyers frühe Platten: Schlager; die mittleren: Matsch; die späten: interessanter Pop? Westernhagen: Blues-Rock? Tut mir leid, finde ich völlig unerheblich. Die Funktion der Musik ist wichtig, nichts weiter. Was braucht der 13-, 14-Jährige? Er braucht Anleitung, Welterklärung, Verheißung – Untermalung zum Verliebtsein, zum Tornister-in-die-Ecke-Werfen, zum Knutschen; er muss Lieder im Kopf haben, wenn er hinter der Schulsporthalle eine erste Zigarette raucht oder nachts heimlich durch die Verandatür raus ins elektrische Leben schleicht. Das braucht er. Und das kann nahezu jede Ausformung von Musik leisten.
    Man fährt dann natürlich auch zu Konzerten. Mein erstes Konzert überhaupt: Herbert Grönemeyer in der Eilenriedehalle Hannover. Gerade war seine Platte »Luxus« erschienen, die er selbst heute als etwas borniert empfindet. Darauf wäre ich damals nie gekommen, ich war eben Fan, und das Einzige, was ich zu entscheiden hatte: ob ich mir ein T-Shirt kaufe oder ein Bahn-Rückfahrtticket. Mit dem T-Shirt auf der Zugtoilette – möchte ich nicht missen, diese Fahrt.
    Heute sind wir ja alle wahnsinnig viel schlauer, und man kann distanziert allerlei feststellen: Von 1984 bis 1990, also von »Bochum« bis »Luxus«, hat Grönemeyer durchgängig erfolgreiche Platten veröffentlicht, Westernhagen hatte in dieser Zeit interessante Aussetzer: Nach »Pfefferminz« hat er manches probiert, hatte noch zwei Alben lang als Unterhemden tragender Kneipenkumpel leidlich Erfolg, dann folgten einige eher abstruse Platten, er irrte durch die Stil- und Spielarten, und gerade diese seine 80er-Jahre-Irrtümer sind aufregend.
    Grönemeyers Platten hielten ab »Bochum« ein Niveau, wenn man das mochte, gab es keine Probleme, keine Momente des Zweifelns. Westernhagen aber suchte und schwankte, produzierte zum Teil richtigen Schrott – und ein paar Juwelen. Grönemeyer war außer Sichtweite. Ende der 80er schlug das Pendel zurück, Westernhagen überholte wieder: »Halleluja« – er war zurück, brachte kurz darauf eine grandiose Live-LP heraus, die das Lied »Freiheit« enthielt, getragen von frenetischem Sporthallenpublikums-Chor, das kam gerade recht zu den Wiedervereinigungsfeierlichkeiten.
    Angeblich, so erzählen es Menschen, die dabei waren und ganz unbedingt nicht namentlich erwähnt werden wollen, gab es dann Radau hinter der Bühne eines großen Open-Air-Konzerts in Frankfurt, bei dem alle damals großen (im Sinne von: sehr bekannten) deutschen Rockmusiker auftraten, um ein Ständchen wider den Rassismus zu singen: Westernhagen sollte als Letzter, als Höhepunkt also, singen, natürlich seinen Hit »Wind of Change«, nein, Entschuldigung, natürlich »Freiheit«. Und irgendwie soll mit diesem Finale – angeblich! – nicht jeder der Beteiligten einverstanden gewesen sein.
    Ehrlich gesagt: Ich stand damals im Publikum und fand es schön. Ich fand auch Grönemeyer toll, der »Keine Heimat« sang, wenn ich mich richtig erinnere. Aber das wärmende, einende Emotionsfinale kam eben von Westernhagen: Er bat, dass wir »hier das Licht machen«, und Abertausende entzündeten Wunderkerzen und Feuerzeuge (oder Zigaretten), das war ein schönes Bild, und jeder Zyniker konnte sich darüber lustig machen, so war für alle gesorgt. Anschließend verschickte die Lufthansa einen Videomitschnitt dieses Konzerts an alle Goethe-Institute, woraufhin Grönemeyer die Videos wieder einkassieren ließ und sie dann ohne Lufthansa-Logo erneut aussandte, damit auch wirklich alles schön korrekt war. Und so gibt es auch über Wackersdorf-Konzerte schöne Geschichten, wessen Name auf dem Plakat nun zu groß war und weiß-der-Teufel-was – und bei allem guten Willen haben die deutschen Rockgrößen mit diesen von so hehren Zusammenkünftenüberlieferten Kleinlichkeiten am Ende vor allem ihre eigene Überheblichkeit bewiesen.
    Um dem Informantenschutz zu genügen: »Jemand, der mit einem der beiden« in ganz frühen Jahren verlaglich zusammengearbeitet hat, sagt, die Zickereien zwischen den beiden, was man darüber so gehört und davon so mitgekriegt habe, seien ihm bekannt vorgekommen, und zwar von Kinderspielplätzen. Aber man nennt hier besser keine Namen, denn bis heute wird man bei einer lobenden Äußerung über den einen automatisch als Feind des anderen behandelt; umgekehrt gilt dasselbe, Kritik des einen wird als Stärkung des anderen aufgefasst – lächerlichste Lagerhaft.
    In England ist wie

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