Auch Deutsche unter den Opfern
werden gebraten, über 200 Euro sind angeblich zusammengekommen – und erst jetzt fällt einem auf, dass nirgends hier ein CDU-Plakat hängt und weder Broschüren ausliegen noch mit Parteilogo bedruckte Luftballons oder Kugelschreiber verteilt werden. Guten Zweck und platte Parteiwerbung wolle man bewusst nicht verknüpfen, sagt Koch und wischt sich die Hände an der Schürze ab. Natürlich gehe es so kurz vor der Wahl um Aufmerksamkeit, aber man dürfe als Politiker von bürgerlichem Engagement nicht immer nur reden, man müsse es auch praktizieren – und außerdem: »Ich bin hoffentlich CDU-Werbematerial genug!«
[ Inhalt ]
Willy-Brandt-Haus, 27. September 2009
Die Stimmung – ja, ja, die Stimmung. »Wie ist die Stimmung bei den Sozialdemokraten?«, werden die Moderatoren in den Fernsehstudios nachher stets fragen, bevor sie hierher, ins Willy-Brandt-Haus schalten, wo derart viele Journalisten mit Kameras, Mikrophonen und Laptops diese Stimmung einzufangen bereitstehen, dass man sich fragt, wie, wo und von wem überhaupt hier eine wie auch immer beschaffene Stimmung artikuliert werden soll.
Auf der Bühne? Dort stehen zwei Rednerpulte für die beiden Stimmungsgaranten Steinmeier und Müntefering, dahinter der Schriftzug »Unser Land kann mehr« – was so oder so nach elf Jahren Regierungsbeteiligung kein besonders geschickter Werbeslogan für die SPD war. Neben der in ihrer Art noch genauer zu ergründenden »Stimmung« wird an diesem Abend das Wort »dramatisch« vielfache Verwendung finden im Willy-Brandt-Haus, seit halb fünf kursieren verschiedene Gerüchte und Prognosen, von 25 % oder sogar nur 24 % für die SPD geht die Flüsterkunde – und das ist, genau, dramatisch. Ein dramatischer Verlust im Vergleich zu 2005, eine dramatische Niederlage – und vielleicht ja auch Grund für eine dramatische Stimmung?
An Säulen aufgehängte Fernseher zeigen die Programme von ARD und ZDF, und obwohl im ZDF gerade Bettina Schausten warnt, »Vorsicht mit Vorab-Zahlen, die sind im Zweifelsfall falsch«, werden im Foyer schon morgige Schlagzeilen großer Tageszeitungen entworfen: »Dramatische Verluste für die SPD«. Nur ein paar Meter weiter steht ein Mann, der urplötzlich im Stehen loskotzt – einfach so, auf den Boden des Willy-Brandt-Hauses. Dann geht er zum Bierstand und lässt sich, auf den Schreck, ein neues Berliner Pilsener zapfen. Niemand kommt, um die Kotze wegzuwischen, die Sorgen der Hausherren sind aktuell andererArt, und so wird die Kotze durch das Schuhstempeln all der achtlos hindurchlatschenden Handyhantierer schön im Haus verteilt.
Um 17.41 Uhr gibt ein neben der Bühne stehender SPD-Mann per Telefon durch: »Im Präsidiumssaal brauchen wir bitte noch Aschenbecher!« In Stimmung umgerechnet könnte das »Schock« heißen – erstmal eine rauchen. Noch sei gar nichts entschieden, versuchen SPD-Leute die sogenannte Stimmung, die sich momentan zwischen Fatalismus und Fassungslosigkeit einpendelt, etwas zu heben. Ein Veteran, der genau so aussieht, wie man sich einen SPD-Veteran vorstellt, wedelt mit seinem roten Parteibuch; er sei schon beim 1969er Wahlkampf Willy Brandts dabei gewesen, und da habe es am Wahlabend zunächst geheißen, Kiesinger habe klar gewonnen – »und wer war zum Schluss strahlender Sieger? Willy!« Jedem, der es nicht sehen will, zeigt er die Autogramme auf den vorderen Seiten seines Parteibuchs: Helmut Schmidt! Andrea Nahles! Und zu Hause habe er sogar ein Autogramm von Michail Gorbatschow! Freundlich wird er gebeten, sich abzuregen – und es bei eventuellen Ebay-Versteigerungen vielleicht lieber mit der Gorbatschow-Unterschrift zu versuchen als mit der von Andrea Nahles.
Schlag 18 Uhr, die Prognosen: Kurzer Jubel über die von der ARD angegebenen 33,5 % – die allerdings gelten der CDU. Aber die eigene Trauer mit etwas Schadenfreude durchmischen zu können (» die haben doch auch verloren«), ist gewiss hilfreich, denn nun bleibt der SPD-Balken sehr früh stehen: 22,5 %. Im ZDF 23,5 %.
Stille.
Kein Raunen, kein Wehgeschrei – absolute Stille.
Und die Stimmung? Wie ist die nun? Die ist gar nicht, wir erleben die völlige Abwesenheit von Stimmung. Am schnellsten hat sich der Veteran gefasst, parteibuchwedelnd skandiert er: »Das sagt gar nichts! Noch keine Stimme ausgezählt! Alles nur Mutmaßungen!« Der neben ihm stehende Juso möchte nun keine weiteren Heldengeschichten hören und entschuldigt sich: »Unabhängig vom Ergebnis hole ich mir jetzt erstmal ein neues
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