Auch Geister haben huebsche Soehne
dem Mund eines Typen, dessen Hemd Schleifen statt Knöpfe hatte, klang das nun mal echt merkwürdig. »Erzähl's mir.«
Ich blätterte die Seite um. »Erzähl du mir erst mal, was ihr mit Marcus gemacht habt.«
Jesse wirkte überrascht. »Wir haben gar nichts mit ihm gemacht.«
»Blödsinn. Wohin ist er dann verschwunden?«
Jesse zuckte mit den Schultern und kraulte Spike unter dem Kinn. Der blöde Kater schnurrte so laut, dass ich es quer durchs Zimmer hören konnte.
»Ich glaube, er hat beschlossen, eine Weile auf Reisen zu gehen«, sagte Jesse mit Unschuldsmiene.
»Ohne Geld? Ohne seine Kreditkarten?«
Zu den Sachen, die die Feuerwehr im Zimmer gefunden hatte, hatte auch Marcus' Brieftasche gehört … und seine Waffe.
»Wir leben in einem großartigen Land, das man wunderbar zu Fuß durchwandern kann.« Jesse verpasste Spike einen spielerischen Klaps auf den Hinterkopf, nachdem der Kater einmal träge nach ihm gekrallt hatte. »Vielleicht lernt er so, die Schönheit der Landschaft zu würdigen.«
Ich schnaubte und blätterte wieder um. »Dann ist er in einer Woche wieder da.«
»Das glaube ich nicht.«
Das kam so überzeugend, dass ich sofort hellhörig wurde. »Und wieso nicht?«
Jesse zögerte. Er wollte es mir nicht verraten, das war sonnenklar.
»Was ist?«, bohrte ich weiter. »Verletzt es etwa euren spektralen Geister-Ehrenkodex, mich niedere Lebende in so was einzuweihen?«
»Nein. Er wird nicht zurückkommen, Susannah, und zwar weil die Seelen der Menschen, die er getötet hat, ihn nicht mehr weglassen werden.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Was meinst du damit?«
»Zu meiner Zeit nannte man das Verhexung. Ich weiß nicht, wie es heute heißt. Aber dein Eingreifen hat Mrs Fiske und die drei anderen, denen Marcus Beaumont das Leben genommen hat, auf den Plan gebracht. Sie haben sich zusammengetan und werden erst Ruhe geben, wenn er für seine Sünden gebüßt hat. Er kann von einem Ende der Welt zum anderen fliehen – er wird ihnen niemals entkommen. Jedenfalls nicht bevor er selbst stirbt. Und bis dahin …«, jetzt klang Jesses Stimme eisig, »… wird er ein gebrochener Mann sein.«
Ich sagte nichts. Ich konnte einfach nicht. Ich wusste, dass ich als Mittlerin so ein Verhalten nicht hätte gutheißen dürfen. Ich meine, es war nicht gut, wenn Geister zur Lynchjustiz griffen – genauso wenig, wie Lebende zur Lynchjustiz greifen sollten.
Aber ich hatte Marcus nicht ausstehen können, und ich hätte keine Chance gehabt zu beweisen, dass er all die Leute umgebracht hatte. Von Menschen, die immer noch im Diesseits wandelten, würde er nie bestraft werden, das war klar. Wieso sollte er also nicht von denen im Jenseits bestraft werden?
Ich schielte aus dem Augenwinkel zu Jesse hinüber und dachte daran, dass bisher auch noch niemand wegen des Mordes an ihm zur Rechenschaft gezogen worden war.
»Ich nehme an, du hast mit den Leuten, die dich … ähm … umgebracht haben, dasselbe getan?«
Aber so leicht ging Jesse mir nicht auf den Leim. Er lächelte nur und sagte: »Erzähl mir doch einfach, was mit deinem Bruder war.«
»Stiefbruder«, korrigierte ich ihn.
Nein, ich würde Jesse nichts von meinem Gespräch mit Schweinchen Schlau erzählen, genauso wenig wie Jesse mir davon erzählte, wie genau er zu Tode gekommen war. Wobei das in meinem Fall daran lag, dass die Sache mit Schweinchen Schlau so unglaublich peinlich für mich war. Jesse hingegen wollte nicht darüber reden, weil … ach, keine Ahnung. Aber daran, dass es peinlich gewesen wäre, lag es bestimmt nicht.
Es war genauso gewesen, wie Mom gesagt hatte: Ich hatte Schweinchen Schlau in seinem Zimmer angetroffen. Er saß an einer Hausaufgabe, die erst im nächsten Monat fällig war. Aber so war der Kleine nun mal, er agierte immer nach dem Motto: Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.
Als ich anklopfte, rief er: »Herein.« Mit mir hatte er aber eindeutig nicht gerechnet. Ich betrat die Zimmer meiner Stiefbrüder nämlich nie, wenn ich es irgendwie verhindern konnte. Der Gestank nach dreckigen Socken war einfach zu viel für mich.
Doch da ich in diesem Augenblick selbst auch nicht gerade nach Rosenwasser duftete, würde es wohl ausnahmsweise gehen.
Er war sichtlich geschockt, mich zu sehen, denn sein Gesicht wurde augenblicklich fast genauso rot wie seine Haare. Er sprang auf und versuchte, einen Haufen dreckiger Unterwäsche unter die Daunendecke seines ungemachten Bettes zu stopfen. Ich sagte, er
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