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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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dazu ist er nicht fähig. Er hängt lieber bis morgens im Café rum und schläft bis nachmittags.
    Jeder von diesen Typen, egal, ob sie jetzt Kokaindealer oder Einbrecher sind, hat irgendeinen Bereich, in dem er wirklich sehr talentiert ist, aber er kommt nicht aus dem Knick. Die Kerle können sich nicht dazu durchringen, diesen Talenten nachzugehen. Da herrscht eine große Depression und dann fallen Sätze wie: »Mein Leben hat keinen Sinn. Ich hab Absturz auf mich selber.«
    Mit Logik kommt man da nicht weiter und auch nicht mit Schlägen. Die sind gefangen in dieser Welt. Karriereplan Krimineller. Ich möchte betonen, dass ich niemanden verurteilen will, und wenn jemand hin und wieder in ein offenes Auto einsteigt oder sonst wie Scheiße baut – kein Thema, aber wenn man kriminell sein muss, nur damit Geld in die Kasse kommt, dann stelle ich mir das wirklich ätzend vor. Selbst als ich Drogen verkauft habe, habe ich das nie gemacht, weil ich musste, sondern weil ich Spaß daran hatte und das nebenbei gemacht habe, um mir meinen Konsum zu ermöglichen. Bei diesen Menschen ist das anders und man sieht ja auch die Verzweiflung. Die fahren dann zum Beispiel ohne Führerschein rum, obwohl sie auf Bewährung draußen sind, manchmal habe ich das Gefühl, dass sie mit aller Macht wieder zurück in den Knast wollen. Die stehen so weit außerhalb der Gesellschaft, von außen wird man die nicht wieder zurückbekommen. Kein Sozialarbeiter, kein Politiker, nicht mal die Eltern werden diese Menschen resozialisieren können. Nicht mal ich als bester Kumpel.
    Eigentlich müsste die ganze Bande zum Psychiater, eigentlich müssten diese Menschen in psychologische Behandlung, weil das ein pathologisches Problem ist. Das würden die aber nie machen, weil sie denken, dass das schwach ist. Dann sagen sie: »Ich bin doch nicht krank, Mann. Ich bin doch nicht verrückt«, worauf ich antworte: »Im Grunde musst du nicht nur zum Psychiater, sondern auch noch mal zur Schule.« Allerdings würde das wahrscheinlich nur mit Zwang funktionieren.
    Als Mahmut im Gefängnis war, wurde er irgendwann Freigänger, musste aber zur Schule gehen. Das waren die einzigen vier, fünf Monate am Stück, die er in seinem Leben zur Schule gegangen ist, nachdem er die Grundschule verlassen hatte. Ab der siebten Klasse war der Typ nicht mehr regelmäßig in der Schule. Er hat nie irgendwas gelernt, hat keinen Schulabschluss, gar nichts.
    Das Schlimmste an seiner Zeit im Gefängnis war für ihn, dass er seine eigenen Klamotten nicht anziehen durfte und dass es dort nur diesen wasserlöslichen Instant-Zitronentee gab, diesen Krümeltee. Ansonsten hat er alles gemacht, was er machen sollte, weil er eben alles machen musste: Schularbeiten, zur Schule gehen, Gruppentherapie, Sozialstunden leisten und Bilder malen.
    Der Vorteil am Jugendstrafvollzug ist ja, dass es da Vollzeitprogramm und noch einen pädagogischen Ansatz gibt, der im späteren Erwachsenenvollzug nicht mehr existiert. Dass man den Leuten klarmacht, dass sie erst dann rauskommen oder bestimmte Haftlockerungen erhalten, wenn sie auch zur Schule gehen. Das tat Mahmut dann auch, aber ab dem Tag, als er auf Bewährung entlassen wurde, ab diesem Tag ist er nicht mehr hingegangen. Natürlich hat er in den fünf Monaten, in denen er in der Schule war, auch nicht unbedingt was gelernt. Der saß da seine Zeit ab, hat sich mit den Lehrern gestritten, und das ging sogar so weit, dass sein Vater bei mir angerufen hat und wollte, dass ich mit ihm rede.
    Die Eltern haben durchaus ein Interesse daran, dass aus ihren Kindern was wird. Oft heißt es in der öffentlichen Diskussion, die Elternhäuser seien komplett desinteressiert und würden ihre Kinder einfach machen lassen, ohne Ordnung und Grenzen. Das stimmt nicht, aber die können das eben nicht besser und in der Schule laufen auch ein paar Sachen falsch. Auch das kenne ich von mir. Ich bin ja ebenfalls nicht mehr hingegangen. Ich wollte ausschlafen, kiffen, chillen. Ausschlafen war das größte Problem bei mir, allerdings war ich so schlau, dass ich die Schule erst dann geschmissen habe, als ich meinen erweiterten Realschulabschluss sicher in der Tasche hatte. Selbst in solchen Situationen habe ich überlegt gehandelt. Auch wenn ich die Schule geschmissen habe, bedeutet das nicht, dass ich auf alles geschissen habe. Selbst wenn ich mich nicht mehr unbedingt in meine Situation von vor 15 Jahren zurückversetzen kann – das schaffe ich einfach nicht mehr –,

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