Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
Vom Netzwerk:
das Gespräch im Vordergrund, und während man miteinander redete, band er auch noch die Chemie mit ein und erklärte Oxidation eben einmal anders. Er hat uns ernst genommen. Er wollte, dass wir arbeiten, aber wir konnten es auf unsere Art machen. Solange das Endprodukt gestimmt hat, war er damit einverstanden, dass wir unterschiedliche Wege gegangen sind. Dabei hat er trotzdem immer genau gesehen, ob du wirklich Interesse dafür hattest oder ob du ihn nur verarschen wolltest. Er war kein Korinthenkacker und konnte es akzeptieren, dass wir irgendwann mal, in naher Zukunft, auch eigene Menschen mit einer eigenen Meinung werden würden. Diesen Lehrer hatte ich in der achten, neunten, zehnten Klasse, also zur Hochzeit der Pubertät, und er hat nicht versucht, uns in eine bestimmte Form zu pressen. Er hat sofort gemerkt, wenn du da nicht reingepasst hast, dann hat er eben eine andere Form genommen. Schuh passt nicht, gut, andere Größe. Das fand ich gut, aber Herr Helmert blieb leider die Ausnahme. Mit 98 Prozent der Lehrer hatte ich Streit und keiner von denen fand mich cool oder nett und ich hatte nie das Gefühl, dass sie sich überhaupt für mich interessiert haben. Diese Erfahrung würde ich meinen Kindern gerne ersparen, wenn ich kann.
    Natürlich kann ich heute nicht sagen, was aus meinen Kindern einmal werden wird, aber wenn ich mir eines wünschen darf, dann möchte ich sie zu vernünftigen Menschen erziehen, und ich möchte, dass meine Kinder aufmerksame und intelligente Menschen werden. Ich möchte ihnen Werte vermitteln, ich will ihnen alles erklären, was ich weiß, jedes Tier, jedes Naturphänomen – ich will wie mein Chemielehrer werden.
    Ich weiß, dass es eine Menge Familien da draußen gibt, in denen die Eltern nicht so werden wollen wie Herr Helmert, die vielleicht auch gar keinen Herr Helmert kennen und denen alles egal ist. Den Kindern in diesen Familien würde ich wünschen, dass über das ganze Bildungssystem noch einmal gründlich nachgedacht wird und dass früher oder später eine ganz andere Art von Menschen als Lehrer, Polizisten, Sozialarbeiter oder auch Politiker eingesetzt werden. Im Bildungssektor brauchen wir mehr Quereinsteiger. Menschen, die schon andere Sachen gemacht haben, die das Leben kennen, die wissen, welche Probleme da draußen auf einen warten. Nur weil jemand Pädagogik oder ein anderes Fach studiert hat, muss er oder sie nicht unbedingt mit dreißig Kindern klarkommen können. Es ist doch auch wichtig, dass man Dinge vermitteln kann, die nicht auf dem Lehrplan stehen. Wahrscheinlich ist ein Teil dieser Forderung heute schon erfüllt, schließlich hört man immer wieder, dass sich die heutige Lehrergeneration die Hälfte der Unterrichtszeit sowieso mit privaten Schülerproblemen auseinandersetzen muss und kaum noch Zeit für Lehrplaninhalte hat. Trotzdem plädiere ich dafür, dass mehr Menschen in diesen Beruf geholt werden, die schon andere Erfahrungen gemacht haben. Dafür allerdings müsste sich die Gesellschaft ändern und wir müssten dem Lehrerberuf endlich wieder die Anerkennung zukommen lassen, die er verdient. Außerdem müsste man dieses System revolutionieren und Geld in die Hand nehmen, um den Lehrerberuf für solche Quereinsteiger attraktiv zu machen.
    Ein bisschen erinnert mich diese Forderung an unseren Kampf in der Musikindustrie. Wir haben damals, als wir angefangen haben, Musik zu machen, auch die Majorlabels verflucht, weil sie keine vernünftige Rap-Musik herausgebracht haben, weil sie Rap nicht verstanden haben, weil sie uns als Künstler nicht verstanden haben. Das ist ein ewiger Kampf gegen die große Maschinerie, aber im Vergleich zu dieser riesengroßen, grauen Burg Bundesrepublik Deutschland sind die Majorlabels ja ein Witz. Dagegen war unser Marsch durch die Musikindustrie ein Spaziergang.
    Wir sind da schon sehr eingefahren in diesem System und mit unseren Methoden und ich glaube, viele Menschen haben sich damit abgefunden, viel Geld und Zeit zu verschwenden, indem sie irgendwelche komischen Integrationsprojekte ins Leben rufen und Podiumsdiskussionen abhalten, zu denen dann der Herr Özdemir von den Grünen eingeladen wird, der ja der Vorzeigetürkenpolitiker schlechthin ist, um halt irgendwas getan zu haben. Das reicht dann fürs Protokoll, das wird abgehakt und danach kann man wieder zur Tagesordnung übergehen, ohne dass man wirklich was verändert hat.
    Wahrscheinlich wird das weiterhin so laufen und wir werden uns weiter damit begnügen

Weitere Kostenlose Bücher