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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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glaube ich doch, dass ich die Schule weitergemacht hätte, wenn ich gar nichts anderes mehr gehabt hätte. Ich habe mich abgesichert. Ich wusste, ich bin angemeldet zur Gesellenprüfung und kann da auch nicht mehr rausfliegen, na gut, dann gehe ich eben nicht mehr zur Lehre. Ich bin zwar wahnsinnig, aber ich bin nicht dumm und ich wollte niemals so krass auf mein Leben scheißen, dass ich als absoluter Versager dastehe. Das liegt natürlich an meiner Person, an meinem Charakter und an dem Kopf, den ich habe, und, wie ich schon des Öfteren betont habe, auch ein bisschen an dem deutschen Teil in mir. Meine deutschen Gene, die mich zur Ordnung rufen, wobei ich mich dann wiederum frage, wie es eigentlich so etwas wie erfolgreiche arabische Maschinenbaustudenten geben kann, arabische Mediziner oder sehr erfolgreiche arabische Geschäftsleute, die ihre Kinder auf Universitäten schicken, wenn die so ganz ohne diese deutschen Gene auskommen müssen. So etwas gibt es ja auch und vielleicht liegt es doch weniger an den nationalen Genen, die man so in sich trägt, als viel mehr an den sozialen Bedingungen, unter denen man aufwächst. Die meisten Migranten hier stammen ja aus eher einfacheren Verhältnissen. Ich für meinen Teil kenne tatsächlich keine einzige Migrantenfamilie, in der die Eltern Akademiker sind, die einen guten Einfluss auf ihre Kinder haben könnten. Dafür kenne ich jede Menge Väter, die ihren Kindern kein gutes Vorbild sein können, die genau wie ihre Söhne nicht nach Hause kommen, sondern lieber im Café sitzen, nie einen richtigen Job haben, ab und zu mal Autos verkaufen, manchmal sehr erfolgreich, dann aber all ihre Kohle wieder verballern und am Schluss gar kein Geld mehr haben. Was sollen diese Väter ihren Kindern sagen? Was sollen die ihren Kindern beibringen? Kein Wunder, dass diese Kinder dann wieder bei mir ankommen und sagen: »Mein Vater nervt mich.« »Okay«, antworte ich dann, »dein Vater nervt dich, weil er genauso viel Scheiße gebaut hat wie du. Okay. Dann seid ihr quitt. Aber was ist mit deiner Mutter? Warum nervt dich deine Mutter? Eine Frau, die ihr Leben lang zu Hause ist. Für dich kocht und dir deine Scheiße hinterherräumt, die dich bis 18 Uhr schlafen lässt. Sie weiß genau, dass du keinen Job hast, keine Perspektive. Warum nervt dich deine Mutter? Nervt sie dich, wenn sie dir sagt, bitte trag mal den Müll runter, such dir Arbeit, mach deine Schule fertig? Sie nervt dich, wenn sie dich darum bittet, dass du nicht jede Nacht bis sieben Uhr früh im Café rumhängst. Dann nervt sie dich? Sagt ihr nicht alle, dass ihr jeden aufmischt, der eure Mutter beleidigt. Sagt ihr nicht: ›Wer meine Mutter beleidigt, ich schwöre, den ficke ich!‹ Ihr beleidigt doch selbst eure eigenen Mütter, wenn ihr nichts davon macht, worum sie euch bitten. Da muss doch gar keiner kommen und sie beschimpfen, das erledigt ihr doch selbst.«
    So rede ich mit denen und habe trotzdem das Gefühl, dass es nichts bringt. Gar nichts.

Familie, Schule, Staat – was tun?
    Ich bin ja sehr selbstständig groß geworden, ich habe mit meiner Mutter, meinem Stiefvater und meinem kleinen Bruder eher abgekapselt und in einer kleinen Familie gelebt. Die Jungs, die sehr viele Probleme mit diesem Staat hier, dieser Gesellschaftsordnung und unserem Gemeinwesen haben, sind wiederum in sehr großen Familien aufgewachsen. Ich mag diese riesigen Familien, ich liebe sie, aber so viele Vorteile diese Familienbande auch haben mögen – darauf werde ich später noch ausführlich zu sprechen kommen –, so viele Nachteile haben sie auch.
    Eine der größten Schwierigkeiten für eine gesunde individuelle Entwicklung des Einzelnen zu einem selbstverantwortlichen Menschen ist die absolute Hierarchie, die in solchen Familien herrscht. Eine Hierarchie, die auf der einen Seite notwendig ist, damit es überhaupt funktioniert, auf der anderen Seite einem manchmal aber auch die Luft zum Atmen nimmt. Eine Hierarchie, in der eine theoretische Ordnung herrscht. Diese theoretische Ordnung mit dem Vater an der Spitze und den Brüdern in absteigender Rangfolge hat allerdings draußen in der realen Welt, in der deutschen Gesellschaft, keine Bedeutung. Wenn du in der Schule bist, in den Bus einsteigst, in ein Geschäft gehst, bringen dir diese harten Regeln von zu Hause gar nichts. Dann bist du plötzlich auf dich allein gestellt, musst die Dinge selbst klären und für dich selbst Verantwortung übernehmen. Das überfordert

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