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Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)

Titel: Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anis Mohamed Youssef Ferchichi , Marcus Staiger
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ja noch nicht mal, dass sich meine Oma bei ihr entschuldigt. Ein nettes Wort hätte gereicht. Ein Wort des Bedauerns, irgendetwas Liebevolles. Man kann die Zeit ja eh nicht mehr zurückdrehen, aber irgendeine Geste der Versöhnung oder des Verständnisses wäre schön gewesen. Aber die Oma ist eben alt, sie hat das für sich abgehakt und da kommt man auch nicht mehr ran.
    Als meine Mutter jung war, kannte jeder jeden in ihrem Dorf, und es wurde geredet und getuschelt, es gab einen Zusammenhalt und die Dorfgemeinschaft hat sehr darauf geachtet, was richtig war und was falsch. Außerhalb des Dorfes lag ein Haus, da waren Gastarbeiter untergebracht. Die hat man dahin abgeschoben, weil man sie im Dorf nicht haben wollte.
    Meine Großeltern hatten außerhalb des Dorfes ein Stück Land, wo mein Opa Hasen und Hühner hielt, die meine Mutter jeden Abend füttern musste. Dazu musste sie immer durchs Dorf und am Friedhof vorbei. Meine Mutter hatte panische Angst vor dem Friedhof, sie glaubte, dass die Toten aus den Gräbern steigen würden, und war dann immer froh, wenn sie dieses Haus erreicht hatte, in dem die Gastarbeiter untergebracht waren. Die saßen dann vor dem Haus und luden meine Mutter ein, sich dazuzusetzen oder wie das halt so ist, wenn die Türken feiern, meine Mutter war dabei. Sie hat sich dazugesetzt, und wenn man sie gesucht hat, dann war sie dort. Schon als Kind hat sie sich mit den Kindern der Gastarbeiter angefreundet, und wenn man meine Mutter heute fragt, dann kann sie sich gar nicht erinnern, jemals richtig guten Kontakt zu den Deutschen aus ihrem Dorf gehabt zu haben. Sie war einfach immer bei den anderen. Die Außenseiterin verbrüdert sich mit den Außenseitern. Das war in den späten 60er-Jahren, Anfang der 70er und die Leute haben sich natürlich das Maul darüber zerrissen. Im Dorf hieß es immer nur: »Die Scheißausländer«, und meine Mutter stand mit ihrer Meinung, dass das auch nur Menschen sind wie du und ich, auf verlorenem Posten.
    Sie musste deswegen viel einstecken von ihrer Mutter, noch mehr, als sie ohnehin ertragen musste. Meine Oma befürchtete vor allem, dass meine Mutter sich ein Kind von einem der »Kanaken« machen lassen würde, und hat sie deshalb noch extra schikaniert und geschlagen. Das war meiner Oma überhaupt nicht recht, dass ihre Tochter bei den Kümmeltürken abhing, aber meine Mutter hat nicht klein beigegeben. Nie. Wenn meine Mutter tatsächlich was ausgefressen hatte, dann ist sie meiner Oma gegenübergetreten, den Kopf hoch, und hat ihr ins Gesicht geschaut, und wenn meine Oma meine Mutter geschlagen hat, dann hat sie ihr auch noch die andere Backe hingehalten. Keine Träne lief ihr über die Wange. Vielleicht hat sich meine Mutter später irgendwohin verzogen und geweint, aber nicht vor meiner Oma. Niemals vor meiner Oma.
    Das hat meine Mutter stark gemacht, aber auch unglaublich hart. Zu mir war sie nie hart, zu mir war sie immer die liebevollste Mutter der Welt, aber insgesamt kann mir keiner erzählen, dass so eine Behandlung spurlos an einem vorübergeht. Das glaube ich nicht. Da bleibt auf jeden Fall was hängen.
    Meine Mutter lebte in diesem Dorf, bis sie zwanzig war, und eigentlich spielte sich auch ihr komplettes Leben in diesem Dorf ab. Sie ging dort in den Kindergarten, zur Schule und nach der Schule hat meine Oma sie im selben Kindergarten in die Lehre als Kindergärtnerin gegeben. Es gab für sie kein Kino, keine Partys, nichts, und wenn sie mal was wollte, musste sie es sich verdienen. Sie musste das Haus von oben bis unten schrubben, die komplette Wäsche waschen, es hätte nur noch gefehlt, dass sie Linsen und Bohnen aussortieren muss.
    Wenn ich mir das heute so vorstelle, dann muss das der komplette Psychoterror gewesen sein. Der Einzige, der einigermaßen zu meiner Mutter gehalten hat, war mein Opa. Der liebte meine Mutter abgöttisch, auch wenn er es ihr nicht so richtig zeigen konnte. Meine Oma hatte eben die Hosen an und sie hatte ein richtiges Terrorregime errichtet. Meine Großeltern haben meine Mutter niemals in den Arm genommen. Es gab keine Zärtlichkeit, kein liebes Wort, kein Streicheln, nichts.
    Nachdem meine Mutter dann irgendwann mal abgehauen war von dort, hatte sie zu meiner Oma und dem Rest der Verwandtschaft kaum noch Kontakt. Wenn meine Mutter heute ein einigermaßen gutes Verhältnis zu meiner Oma hat, wenn die Verwandtschaft meiner Mutter in den letzten Jahren wieder den Kontakt zu meiner Mutter gesucht hat, so liegt das

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