Auch wir sind Deutschland: Ohne uns geht nicht. Ohne euch auch nicht. (German Edition)
Familie hatte sie zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre lang überhaupt nicht mehr geredet. Einmal, hat sie mir erzählt, einmal hat sie versucht, dort anzurufen, aber da sei nur ihr Schwager am Telefon gewesen und der habe gemeint, dass sie sich überhaupt nicht mehr zu melden bräuchte. Das tat weh, aber heute denkt meine Mutter, dass sie sich wohl nie so hätte durchbeißen können in ihrem Leben, wenn sie von ihrer Mutter nicht erzogen worden wäre, wie sie erzogen worden ist. Ich glaube, dass sie sich vielleicht gar nicht so hätte durchbeißen müssen, wenn sie nicht so viel Scheiße erlebt hätte. Aber »hätte« und »wäre« hilft nicht weiter und im Endeffekt sagt sie immer wieder, dass jede Schelle und jede Zurückweisung sie auch ein wenig stärker gemacht haben. Manchmal wünsche ich ihr nur, dass sie gar nicht so stark hätte sein müssen.
Meine Mutter wurde dann schwanger und ich wurde geboren, da hat sich meine Mutter dazu entschlossen, doch noch einmal zu ihren Eltern zu fahren. Irgendwie konnte sie nicht loslassen und hat es immer wieder probiert. Sie dachte einfach, dass sie ihren Eltern den Enkel zumindest einmal zeigen müsste. Es war ja immerhin Familie und sie war so stolz auf mich – aber das hätte sie sich auch sparen können. Als sie ankam, hieß es nur: »Du mit deinem Scheißausländer.« Ein Kind von einem Tunesier. Ein Kind von einem »Kanaken«. Was für eine Schande. Und wieder wurde sie abgestraft und wieder wurde sie kleingemacht und wieder wurde sie gedemütigt.
Da hat sich meine Mutter geschworen, dass sie da nie wieder hingeht. Das hat sie zwar nicht ganz durchgehalten, aber wie frustrierend muss das sein, wenn man so empfangen wird.
Heute behauptet meine Oma, dass sie niemals etwas gegen Ausländer gehabt habe, aber das glauben wir ihr nicht. Für meine Mutter hatte sich das Thema dann auch erledigt und sie wollte sich damit nicht weiter belasten. Unverrichteter Dinge ist sie wieder abgefahren, zurück nach Bonn zu ihrer eigenen kleinen Familie.
Mein Vater wurde schließlich versetzt. Das Botschaftspersonal wurde alle drei Jahre ausgetauscht und in eine andere Stadt beordert. Bei meinem Vater war es diesmal Berlin. So kamen wir nach Berlin.
Zu dieser Zeit fing meine Mutter an, darüber nachzudenken, meinen Vater zu verlassen. Berlin war in dieser Hinsicht ganz praktisch, weil man hier die Berlinzulage bekam und ein paar Vergünstigungen, die es in Westdeutschland für alleinstehende Frauen nicht gab. So bot sich meiner Mutter die Chance, als alleinerziehende Mutter tatsächlich über die Runden zu kommen.
In der Ehe meiner Eltern hatte es heftig zu kriseln begonnen. Meine Mutter versuchte, immer unabhängiger von meinem Vater zu werden, sie verdiente ihr eigenes Geld, machte ihre eigenen Sachen, woraufhin mein Vater extrem handgreiflich wurde, was ich ihm lange Jahre nicht verziehen habe. Mein Vater hat meine Mutter geschlagen, sie meint, er wollte sie zähmen, ich denke, er wollte sie nur behalten, dabei hat er natürlich alles falsch gemacht, was ein Mann nur falsch machen kann. Das Leben mit meinem Vater wurde immer unerträglicher, es passte hinten und vorne nicht mehr, und als dann der nächste Umzug nach Düsseldorf anstand, hat sich meine Mutter einfach geweigert mitzugehen. Sie wusste ja, dass sie sich in Berlin eine kleine Wohnung würde leisten können, und alles andere, dachte sie, würde sich von selbst finden.
Ich war zu dem Zeitpunkt ungefähr drei Jahre alt, der Umzug stand kurz bevor und meine Mutter hatte erklärt, dass sie mit mir in Berlin bleiben würde. Da klingelte es plötzlich an der Tür und mein Vater stand mit seinen beiden Brüdern aus Tunesien davor. Drei Tage haben sie meine Mutter in der Wohnung eingesperrt, mein Vater wollte meine Mutter tatsächlich mit Gewalt, mit brutaler Gewalt, dazu zwingen, bei ihm zu bleiben. Er hat die Telefonkabel aus der Wand gerissen, er hat gedroht, sie zu erhängen, er wollte sie töten, drei Tage Terror und ich mit dabei. Am dritten Tag ging meine Mutter in die Küche und dort lag ein Kochmesser. Als die anderen auch in die Küche kommen wollten, packte sie das Messer, mit mir auf dem Arm, und meinte zu meinem Vater, dass sie ihn umbringen würde, wenn er sie noch einmal anfassen würde: »Keinen Schritt weiter. Ich kann nicht alle töten, aber einen nehme ich garantiert mit. Und wenn du noch einen Schritt auf mich zumachst, bist du tot. Ich habe ein Messer und ich schwöre euch bei Gott, und wenn es das
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