Auf Amerika
fand, damals, heil davongekommen war und noch schwadronierte damit.
6
Ich brauche keine Fotografie vom Veit. Ich sehe ihn ja immer vor mir. Er ist klein, rundlich, irgendwie überall gepolstert, mit einem Bäuchlein. Er hat riesengroße Hände, in die mein ganzer Kopf hineinpasst. Sein Kopf ist kugelrund, mit abstehenden großen Ohren, was besonders auffällt, weil er nur noch ganz wenige Haare um die rote, wie poliert aussehende Glatze hat. Er hat leicht wässrige, blaue Augen und ein dicke Nase, und er schaut einen immer so freundlich an, dass ich glaube, er ist neben dem Messmer-Ludwig der glücklichste Mensch von Hausen. Bei der Arbeit trägt er immer einen Hut, der auf seinen Ohren aufsitzt. Er tut alles ruhig, ohne Eile. Darin ist er das Gegenteil meines Vaters, der immer rennt und hetzt. Wenn mein Vater nach links gehen will, dann will er gleichzeitig auch nach rechts gehen, und dann geht er mit dem Kopf in die eine Richtung und mit den Beinen in die andere, und da weiß der Kopf nicht, was die Beine wollen, und umgekehrt. Dann flucht mein Vater und geht geradeaus und weiß aber nicht, was er dort soll. Darum, glaube ich, ist mein Vater kein glücklicher Mensch.
Der Veit, das sagt er selbst manchmal, ist mit seinem Leben zufrieden.
Ich hab, was ich brauch, und was mir nicht fehlt, das brauch ich nicht, sagt er.
Die Sprache vom Veit ist nicht ganz die der Hausener. Der macht manchmal so seltsame Laute wie hajo und woisch, die verraten, dass er nicht von hier ist. Von wo er her ist, darüber schweigt er.
7
Während am 6. Juni 1944 die Alliierten in der Normandie landeten, warteten weit entfernt, im damaligen Sudetengau, heute Tschechien, deutsche Frauen, die man aus dem zerbombten Berlin hierhergebracht hatte, auf die Geburt ihrer Kinder. Die Männer waren im Krieg. Irgendwo an der Front, vielleicht tief in Russland, vielleicht tot oder verwundet oder in Gefangenschaft. Die meisten der Frauen hatten keine Nachrichten mehr bekommen. Auch meine Mutter wusste nicht, wo sich mein Vater befand, ob er noch lebte. Um fünf Uhr morgens, an diesem 6. Juni, wurde ich geboren. Mein Vater lag im Lazarett in Berlin, ein Radfahrer hatte ihn überfahren. Irgendwie erreichte ihn die Nachricht von meiner Geburt. Man wollte ihn, da er wieder gesund war, noch mit ein paar Alten und halben Kindern als letztes Aufgebot an die Front schicken. Er türmte und schlug sich in einer abenteuerlichen Flucht zu Frau und Kind durch, wovon er später gerne und ausführlich wie von einer Heldentat erzählte. Er, der ein Nazi war, machte sich gerne zum Deserteur, womit er sich über das schlechte Gewissen seiner Generation hinweghalf. In Aussig spürte die Familie dann doch noch den Krieg. Die Russen kamen näher, wir mussten fliehen. Es verschlug uns nach Bayern, in ein Flüchtlingslager bei Erding, wo die Amerikaner den Militärflughafen besetzt hielten und mein Vater Arbeit bekam.
Da er nun sich und seine junge Familie zu versorgen hatte, versuchte er neben dem Job bei den Amerikanern auf alle möglichen Arten zu Geld, Essen, Trinken und Zigaretten zu kommen. Da kam er auf eine, wie er später immer betonte, geniale Idee. Er nahm mich, den am Tag der Invasion Geborenen, mit in die Kasernen und Clubs. Er zeigte den Soldaten meine Geburtsurkunde, und sie ließen sich alle mit dem »Invasion-Baby« auf dem Arm fotografieren. Dafür gab es Whisky, Zigaretten, Schokolade und Kommissbrot in Dosen. Mein Vater belieferte das halbe Flüchtlingslager. Er war der Held der Geflohenen.
Die Vorstellung gefiel mir immer, dass irgendwo in der amerikanischen Provinz, sagen wir in Massachusetts oder in Nebraska, ein weißer oder ein schwarzer Amerikaner vom Krieg in Deutschland erzählte und dass er zum Beweis ein Foto zeigte, auf dem er mit dem deutschen »Invasion-Baby« zu sehen ist.
Dass die Amerikaner meinen Vater damals trotz dieser Kontakte ein halbes Jahr einsperrten, das verschwieg er stets, er, der sein Leben immer interessanter fand als jeden Roman. Angeblich hatte ihn ein Vorgesetzter der Amerikaner verdächtigt, die Geschenke gestohlen zu haben. Da ich später Anlass hatte, anzunehmen, dass mein Vater wohl doch ein größerer Nazi war, als er uns gegenüber zugab, glaube ich, dass die Bestrafung schon eher damit zu tun hatte.
Nach seiner Haft verließen wir das Flüchtlingslager und landeten in Hausen, dem bayerischen Dorf, das meine Heimat werden sollte. An meinem zweiten Geburtstag, so erzählte meine Mutter später, saß ich schon
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