Auf Amerika
und der hat sogar den Schreibnamen Schuster, weil, wie mein Vater sagt, bei dem alle Vorfahren Schuster waren und man ihnen dann irgendwann den Namen Schuster gegeben hat. Beim Schneider ist es genauso, und der Holzer schreibt sich Holzer, weil er Schreiner war und man zum Schreiner früher Holzer sagte. Und wir heißen dann, denke ich mir, Seiler, weil unsere Vorfahren Seile gemacht haben. Das sei wohl so gewesen, sagt meine Mutter, aber mein Vater, der, wie ich glaube, alles besser weiß als meine Mutter, sagt, dass unsere Vorfahren Henker gewesen sind, die man aber Seiler genannt hat, weil sie mit den Seilen die Menschen aufgehängt haben, vor allem, sagt er, die Frauen. Warum denn die Frauen?, will ich wissen. Weil die Hexen waren und ihren Männern untreu, sagt er. Meine Mutter widerspricht meinem Vater, wie gesagt, selten. Da aber ist sie wütend und sagt zu meinem Vater, er soll doch dem Jungen keinen solchen Unsinn erzählen, schlimm genug, dass er solche Ansichten habe, und wenn er recht hätte, dann müssten wir ja wohl Henker heißen, weil kein Mensch jemals einen Henker Seiler genannt habe, und im übrigen habe man die Hexen nicht aufgehängt, sondern verbrannt, zu Unrecht meistens, zu Unrecht!
Henker, antwortet mein Vater, hat man die Henker nicht genannt, denn wer hätte schon Henker mit Namen heißen wollen? Und den Namen Seiler hat er doch in die Familie gebracht, sagt er, und es handelt sich also um seine Vorfahren, und da müsse er wohl wissen, was die gewesen sind. Und was die Hexen betrifft, so hat man die da, wo die Seilers herkommen, im Osten, sehr wohl aufgehängt, und das ist sogar heute noch üblich, weil dort jetzt der Russe das Sagen hat, und deswegen sollen wir froh sein, dass wir jetzt hier leben und nicht beim Russen.
Ja, ich bin froh, dass wir nicht beim Russen leben, sondern in Bayern, in Hausen, in der Nähe von München. Bei uns sind die amerikanischen Soldaten. Die bringen Schokolade und Kaugummi. Ich hab Angst vor denen, besonders vor den Negern, weil sie so furchtbar schwarz sind. Ich weiß ja, dass sie einem nichts tun, gerade die Neger nicht. Die lachen fast immer. Die anderen Ami – wir sagen die Ami, mein Vater sagt die Amis, wenn er nicht überhaupt sagt die Amerikaner – die Ami lachen auch viel, aber da sieht man es nicht so wie bei den Negern. Die Bauern mögen die Ami nicht, weil die, wenn sie Manöver haben, mit den Panzern mitten durch die Felder fahren, egal, was da gerade wächst oder gerade reif ist für die Ernte. Die dürfen das, sagt mein Vater, weil sie den Krieg gewonnen haben, denn hätten wir den Krieg gewonnen, würden wir heute in Russland mit Panzern durch die Felder fahren. Oder sogar in Amerika.
5
Den Bauern, die ahnten, dass meinem Vater die Hitlerei, wie sie jene Jahre nannten, ganz gut gefallen hat, war das kein Trost. Sie hatten den Hitler und die ganze Nazibagage nicht gewollt, so wie sie auch den Krieg verfluchten. In Hausen hatte keiner gefragt, wollt ihr den totalen Krieg?, und darum hatte auch keiner ja geschrien. Doch, einer, der Lechner, der sich Ortsgruppenführer nannte und in Uniform herumrannte. Man mied ihn, misstraute ihm, legte sich aber nicht mit ihm an. Er war ein Häusler, wohnte im Gemeindearmenhaus, hatte keinen Hof, kein Hab und Gut und keine Familie. War er vorher einer, der nicht einmal am Bauerstammtisch geduldet wurde, geschweige denn irgendetwas zu sagen gehabt hatte, so war er plötzlich wichtig. Es gab jetzt welche, die Angst vor ihm haben mussten. Jetzt war er wer, jetzt ging er aufrechter als sonst, und man renovierte ihm das Hüterhaus, ließ ihn am Bauerntisch sitzen, hörte sich an, was er über die neuen Zeiten und die neuen Sitten und die wichtigen Köpfe und den einen einzigen wichtigsten Kopf aller Köpfe im Lande zu sagen hatte, und man widersprach ihm vorsichtshalber nicht. Der Lechner, sagte man sich, braucht das Hakenkreuz, das er an seine Hauswand gemalt hat. Mit ihm sollte es allerdings gleich nach dem Krieg böse enden. Der Lechner, so sagte man jetzt, erledigte sich selber.
Wenn einer wie mein Vater in der Wirtschaft das Verlieren des Krieges beklagte und Strategien entwarf, wie man ihn hätte gewinnen können, verstummten die Bauern ebenfalls. Es erfüllte den einen oder anderen mit Bitterkeit, dass er einen oder zwei oder sogar drei Söhne oder Brüder, die wahrlich nicht Soldaten werden wollten, an diesen Krieg verloren hatte, und dass so einer wie der Seiler, der das alles gar nicht so falsch
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