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Auf Amerika

Auf Amerika

Titel: Auf Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Schroeder
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nach seiner Herkunft gefragt habe. Da lachten die Bauern, leise und sparsam, wie es ihre Art war, denn bei allem Respekt gegenüber dem viel wissenden und noch mehr sprechenden Flüchtling freuten sie sich doch, wenn es dem Seiler mal wieder einer gab. Und dass das nicht der Lehrer oder der Pfarrer oder der Doktor oder sonst ein Studierter, sondern der Veit war, das erfüllte sie mit mindestens so viel Genugtuung, wie es meinen Vater ärgerte. Der Veit lächelte in sein drittes von den fünf Bieren hinein, die er täglich trank. Man konnte sein Lächeln für die Torheiterkeit des Tumben halten, und mancher Fremde tat das auch. Aber man konnte auch wie mein Vater annehmen, dass man es mit einer hinterlistigen Verschlagenheit zu tun hatte. Menschen, die er nicht in seine Vorstellungen von der Welt einordnen und damit beherrschen konnte, verunsicherten meinen Vater sehr. Der Veit war einer von ihnen. Und ausgerechnet er, der Wirtsknecht, von dem man weder wusste, woher er stammte, noch ob er überhaupt lesen und schreiben konnte, der doch, wie mein Vater meinte, in der Schlange der 365 Menschen in unserem Dorf ganz hinten stand, da, wo schon die Grenze zwischen Mensch und Tier verschwimmt, da, wo bei den Amerikanern der Neger steht, ausgerechnet der, den er doch eigentlich für einen Trottel hielt, verweigerte sich seiner Neugier.
    Die von meinem Vater als Kretin eingestufte Kreatur trank ihr letztes Bier aus und ging mit der täglichen Feststellung, dass morgen auch wieder ein Tag sei, in seine Speicherkammer neben dem Wirtshaussaal hinauf, kroch in seinen Strohsack und fiel bis fünf Uhr früh in einen festen, selten von irgendwelchen Sorgen getrübten, zufriedenen Schlaf.

12
    Hakelsteckenmalen beim Lehrer Geißreiter. Spazierstöcke, alle gleich groß, gleich rund, gleich gerade, oben der Bogen nach rechts zeigend, alle auf einer Linie, von links nach rechts auf der Schiefertafel mit dem Griffel. Alle Hakelstecken in gleichem Abstand voneinander und in einer Reihe, wie auf einer Schnur tanzend, sagt der Lehrer. Wie soll das gehen? Es geht nicht. Meine Hakelstecken gehen von links oben nach rechts unten, sie wandern, sind ja Spazierstöcke, warum sollen sie nicht wandern, warum sollen sie in einer Reihe marschieren? Sie sind doch keine Soldaten. Es quietscht, der Griffel bricht ab. Dem Benno seine Hakelstecken sehen nicht besser aus als meine, doch das ist wegen der Furcht vor dem Lehrer kein Trost. Auch dem Schorschi und dem Adolf gelingen die Hakelstecken nicht, sind schon verwischt vom Schweiß, der von ihren Stirnen tropft. Nur die Hakelstecken von der Rosa, die direkt vor mir sitzt, sind Soldaten. Einer wie der andere, in gleichem Abstand, oben gleich rund, sich nach rechts orientierend marschieren sie, auf einer Linie, einer wie der andere schön. Schön wie die Rosa.
    Da sitzt sie eifrig, malt, und ich bin verliebt in sie, in ihre beiden blonden Zöpfe und die abstehenden, kurzen, flaumigen Härchen dazwischen.
    Mit Liebe im Kopf kann man keine Hakelsteckensoldaten malen.

13
    An meinem ersten Schultag endete die unbeschwerteste Zeit meiner Kindheit. Fortan war ich für einige Jahre den wechselhaften, seinen Kriegserlebnissen geschuldeten Launen eines Lehrers ausgeliefert, der in Russland ein Bein verloren hatte und in uns Kindern, anders konnten wir uns sein Verhalten nicht erklären, die Schuldigen dafür zu sehen schien. Manchmal waren seine Krücken sein Schlagstock, aber einen Rohrstock hatte er auch, den zur Züchtigung zu gebrauchen ihm die bayerische Regierung noch ausdrücklich erlaubte. Ich habe später nie in Erfahrung bringen können, ob der Rohrstock von der Regierung gestellt wurde oder ob der Lehrer ihn selbst kaufen musste. Dass nicht nur ein Bein des Lehrers Geißreiter, sondern auch Teile seines Verstandes in Russland geblieben waren, ahnten wir. Bestätigt wurde das, als man ihn Jahre später wegen des Totschlags an seiner Frau einsperrte. Er hat sie mit seinen Krücken im Zorn erschlagen.
    Seine Bestrafungen folgten keinem für uns erkennbaren oder begreifbaren System. Sie waren so willkürlich, dass es keinem gelang, ihnen zu entgehen, denn es konnte sein, dass einer die akkuratesten, geradesten, nie in solcher Perfektion dagewesenen Spazierstöcke auf die Schiefertafel malte und trotzdem der Zorn dieses einbeinigen Gottes auf ihn niederging. Sogar Mädchen schlug er. Der echte Gott, dachte ich damals, dessen Zorn sich in Gewittern, Stürmen und Überschwemmungen offenbart, wie wir

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