Auf Amerika
existierte.
Der Hochzeitslader kannte einen, der einen kannte, der den Notar Köhler kannte, von dem der Brief gekommen war. Der hatte, so der Hochzeitslader, alles bestätigt, nur die Summe der Erbschaft durfte er nicht sagen. Aber es handle sich um einen sehr hohen Betrag. Siebenstellig, sagte mein Vater, sicher siebenstellig! Das brachte erneut das Blut der Wirtin zur Wallung. Siebenstellig! Das ist ja, das…? Mein Vater half ihr bei der Rechnung. Mindestens eine Million, rief er.
Am Abend des Tages der unerhörten Nachricht waren mehr Gäste in der Wirtschaft als sonst. Man hatte sich verschworen, aus dem Veit herauszubekommen, was an der ganzen Sache dran war. Doch der schwieg, saß da, lächelte und trank sein Bier, und selbst wenn sie ihm unterstellt hätten, dass er irgendein Königreich erbt, er hätte ihnen nicht widersprochen.
Es ist halt eine Familiensach, die erledigt sein muss.
Mehr sagte er nicht. Dass er am Nachmittag telefoniert hatte, was ja auch bisher noch nie vorgekommen war, das hatte die Postlerin bestätigt. Aber leider hatte sie nichts verstanden von dem, was der Veit gesagt hat, nicht einmal, mit wem er telefoniert hat, konnte sie sagen.
Mein Vater, geradezu fanatisch in seiner Wahrheitsfindung, hatte zunächst nichts von der Geschichte gehalten. Jetzt aber zog er den für ihn logischen Schluss, dass der Veit darüber reden würde, wenn es nur eine harmlose Familiensache wäre, dass er aber schweige, weil die Sache für ihn zu groß, zu unermesslich, nicht begreifbar ist. Selbstverständlich bot mein Vater dem Veit seine Hilfe an, die der dankend ablehnte.
Musst du jetzt auf Amerika?, fragte einer.
Es muss einer hin, wo einer halt hinmuss.
Der Veit war klug genug, sich aus der Affäre zu ziehen, indem er ihnen, wie angeblich den Militärköpfen des Weltkriegs, den Deppen machte. Wovon sie denn eigentlich redeten? Er habe doch keinen Brief gekriegt, da muss sich die Postlerin was ausgedacht haben, er habe doch noch nie einen Brief gekriegt, und telefoniert habe er überhaupt noch nie. Wahrscheinlich wird die Postlerin jetzt verrückt, anders könne er, der Veit, sich das alles nicht erklären.
Da kam er meinem Vater gerade recht, der solche Ausflüchte nicht gelten ließ. Eindringlich machte er dem Veit klar, wie gefährlich es sein kann, zu erben. Schnell habe man da die falschen Freunde, und schon sei das Geld weg. Er aber könne ihn beraten, mit ihm in ein seriöses Geldinstitut gehen, für ihn sich um die Sache kümmern, denn davon verstehe er was, das sei vor dem Krieg ja sein Metier gewesen, und selbstlos, wie er nun einmal sei, biete er seine Hilfe an, doch da müsse der Veit Vertrauen zu ihm haben.
Der Veit lachte und sagte:
Dir und vertrauen, Seiler?
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Also entweder ist die Postlerin jetzt tatsächlich verrückt geworden, oder dieser Veit ist eine ganz durchtriebene Kreatur. Andrerseits hat die Wirtin, sagt sie, den Brief vom Notar auch gesehen und die Kramerin und andere Weiber. Und er will nichts davon wissen. Ja, wo gibt es denn so was! Aber wenn der meint, er kann uns an der Nase herumführen, dann hat er sich schwer getäuscht.
Wütend sitzt mein Vater am Tisch unseres tischgebetlosen, fleischlosen Abendessens.
Dass ausgerechnet der Veit geerbt haben soll, dass er nichts dazu sagt, dass man also nichts weiß, auf Spekulationen angewiesen ist, das bringt meinen Vater auf die Palme.
Ist es nicht ein Hohn, dass er gerade wieder einmal um Geld bei der Schwiegermutter in Berlin nachfragen hat müssen, um beim Holzer die Rechnung für die neue Treppe ins obere Geschoss bezahlen zu können? Was wird so einer denn mit einem Erbe anfangen? Was braucht der denn? Ja, wenn er erben würde, dann! Dann könnte man ein eigenes Geschäft aufmachen. Saatgut, Spritzmittel, Dünger, Obstbäume oder Tierfutter oder ein Reisebüro.
Ein Reisebüro?, fragt meine Mutter verwundert.
Jawohl, ein Reisebüro.
Aber von hier verreist doch keiner.
Er lacht über die von ihm wieder einmal festzustellende Einfältigkeit der Mutter.
Die Geschäfte mit Zukunft sind die Geschäfte, die dem Kunden den Anreiz bieten, etwas zu tun oder zu kaufen, was er bisher nicht getan oder gekauft hat.
Da kenne er sich aus, es fehle ihm nur das nötige Grundkapital, das man ja haben könnte, würde Mutters Mutter nicht so auf ihrem Geld sitzen. Wieder, wie so oft, fordert er seine Frau auf, doch mal ihre Mutter um ein sogenanntes vorgezogenes Erbe anzugehen. Dazu schweigt die Mutter.
Jedenfalls ist es
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