Auf Amerika
eine Ungerechtigkeit, dass ausgerechnet so ein Narr wie der Veit erbt, sagt mein Vater.
Und nicht so ein Narr wie du, mag meine Mutter denken. Denn sie lacht, was der Vater nun überhaupt nicht versteht und ihn veranlasst, in die Wirtschaft zu gehen, um dieser verlogenen Kreatur mal die Meinung zu sagen oder den Versuch zu machen, die Bauern von der Notwendigkeit eines Reisebüros zu überzeugen.
In Hausen ein Reisebüro! Meine Mutter lacht, prustet heraus. So gefällt sie mir, weil ich es mag, wenn sie über Vaters Unsinn lacht.
Glaubst du, Mama, dass der Veit erbt?
Vielleicht. Und wenn ja, dann gönne ich es ihm.
Ich auch.
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DIE GEFALLENEN VON HAUSEN 1939–1945
Aufhammer, Ludwig *1917 †1940 – Bachmeier, Josef *1919 †1942 – Bachmeier, Korbinian *1921 †1943 – Bachmeier, Ludwig *1922 †1941 – Dachser, Peter *1930 †1945 – Eisenrieder, Paul *1917 †1942 – Fendt, Johannes *1918 †1939 – Fendt, Karl *1916 †1941 – Holzer, Sebastian *1918 †1944 – Karpfinger, Wendelin *1916 †1942 – Kreitmeier, Korbinian *1920 †1940 – Krimmer, Hans *1919 †1943 – Krimmer, Leopold *1918 †1941 – Messmer, Franz *1916 †1945 – Messmer, Alois *1918 †1942 – Niedermeier, Karl *1929 †1945 – Pflügler, Hans *1921 †1942 – Pflügler, Matthias *1922 †1943 – Reichelmeier, Georg *1918 †1942 – Reichelmeier, Ludwig *1920 †1944 – Sattler, Martin *1915 †1945 – Wagner, Michael *1930 †1940
Über den zweiundzwanzig Namen waren ovale Bilder der im zweiten Krieg gefallenen Soldaten aus Hausen. Die Tafel hing neben der Tafel mit den sechsundzwanzig Gefallenen des Ersten Weltkriegs in der Wirtschaft, fliegenverschissen über dem Burschentisch, neben den Wimpeln der Freiwilligen Feuerwehr. Zweiundzwanzig junge Männer, Bauernsöhne aus einem Dorf mit etwa dreihundertfünfzig Einwohnern. Stumme Zeugen, die auf die Überlebenden und ihren Übermut herunterschauten, von den Jungen schon vergessen, von den Älteren in manchen, zum Zwecke der Sündenvergebung gebeteten Vaterunsern oder pflichtschuldigen Rosenkränzen eingeschlossen, in das stumme Leid der Mütter sowieso.
Jetzt hatte man die achtundvierzig Namen mit Goldschrift in eine große Steinplatte gemeißelt. Man schnitt die Linde am Dorfplatz ab und stellte ein Kriegerdenkmal auf. Rechts standen die Helden des zweiten, links die des ersten der Kriege. Über ihnen ein Helm, ebenfalls aus Stein, davor Kies und eine Säule mit Weihwasser. Und eine neue, schüchterne Linde.
Es war ein Sommersonntag. Kriegerdenkmal-Einweihung. Alle Kirchgänger des Ortes, aber auch die anderen Bewohner, sogar der Veit, standen da, vorne die Kinder. Die Mütter der Gefallenen waren da und die Ehefrauen mit den Kindern, deren Väter auf der Tafel standen, Kinder, die in der Hochzeitsnacht, am Vorabend des Krieges sozusagen, gezeugt worden sind, oder beim einzigen Heimaturlaub des Soldaten; andere Frauen, junge oft, denen der Krieg den Verlobten, den Angebeteten geraubt hat, der Krieg, dieses verfluchte Viech. Neben ihnen standen die, deren Söhne, Männer, Verlobte, Angebetete nicht auf der Tafel zu lesen waren, die nicht den Trost der Gewissheit eines Grabes in Russland hatten, deren Angehörige in irgendwelchen Lagern waren, die vielleicht schon tot waren, aber vielleicht auch noch nicht, vermisst, wie es offiziell hieß. Da war noch die eine oder andere Hoffnung auf eine Heimkehr, auf ein Wunder. Der einen oder anderen war bange bei dieser Vorstellung, hatte sie sich doch wieder einen Mann genommen und den Kindern einen Vater gegeben, oft in Gestalt eines Heimkehrers, der alles verloren hatte und ein Nest suchte. Und die Eisenrieder-Klara stand da mit dem Kind, das sie von einem Amisoldaten hatte, von dem sie nicht einmal den Familiennamen wusste. Johnny hieß er, und er war längst schon wieder nach Amerika gegangen, als die Klara feststellte, dass sie schwanger war. Der Johnny, von dem es nicht nur keinen Namen, sondern natürlich auch keine Adresse gab, der Johnny aus Amerika.
Good bye, Johnny, sang mein Vater und lachte.
Wenn es ein Neger wird, jagen wir dich zum Teufel, das sag ich dir, sagte die Eisenriederin, als ihr die Klara ihre Schwangerschaft gestand.
Es wird kein Neger.
Eine Sauerei ist es so oder so, und schämen muss man sich dafür. Und ob sie denn die Unzucht wenigstens gebeichtet habe.
Ja, freilich.
So stand die eine da und hatte den Kindsvater irgendwo in Amerika und die andere in Russland, und bei der einen galt es
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