Auf Amerika
willen! Elfriede, das wirst du doch zu verhindern wissen!
Da schweigt meine Mutter.
Manchmal flüchte ich zur Lammermutter in die Küche, darf dort essen und die Suppe schlürfen und beide Ellbogen auf den Tisch legen, wie es auch der Sepp macht und der Lammervater und die Anna und die Lammermutter, wenn sie überhaupt einmal am Tisch sitzt.
Habt ihr jetzt eine rechte Zucht daheim, was, wo die Oma da ist?, sagt die Lammermutter und lacht. Das geht vorbei.
Ja, es geht vorbei.
Am Samstag bringt mein Vater die Oma weg. Das Sonntagsessen am nächsten Tag ist das schönste Essen des Jahres. Mein Vater ist freundlich und nett, so dass er mir direkt leid tut, weil er das Geld, das die Oma immer mal schickt, nicht einfach zusammen mit einer alten Krawatte vom Opa zurückschicken kann.
68
Anfang Juni 1958 verbreitete sich eine Nachricht im Dorf, die man als beinahe unwahrscheinlich anzusehen geneigt gewesen wäre, hätte nicht die Überbringerin dieser Nachricht, die Postlerin, höchstpersönlich im Verlaufe des Postaustragens das zur Nachricht gehörende Detail vorweisen, das heißt herzeigen können. Nachdem schon im Oberdorf und im Unterdorf die Angelegenheit bekannt war, wusste man in Hetzenbach drüben auch schon davon, weil der Viehhändler-Jakob, der der Postlerin auf der Straße begegnet war, in der Gastwirtschaft die unerhörte Begebenheit zum Besten gegeben hatte. Um nicht dummer Phantasiererei oder gar der Lüge bezichtigt zu werden, um überall den Beweis erbringen zu können, ging die Postlerin mit dem Brief in der Hand und unter wortreicher Betonung der Bedeutung desselben erst durchs ganze Dorf und dann zuletzt erst dorthin, wo das Beweismittel hingehörte, in die Metzgerei.
Wirtin, da ist ein Brief für den Veit.
Geh zu.
Doch, da schau!
Für den Veit?
Wenn ich’s dir sag.
Von wem sollte jetzt der Veit einen Brief kriegen, von wem?
Notariat.
Was?
Notariat Köhler.
Was steht denn drin?
Das weiß ich doch nicht.
Ja, mach ihn halt auf!
Das darf ich doch nicht.
Warum denn nicht?
Das ist Vorschrift.
Geh, stell dich doch nicht so an.
Es ist einmal die Vorschrift.
Geh zu! Dann gib ihn her.
Er muss unterschreiben.
Da unterschreib halt ich.
Persönlich!
Ich unterschreib ja persönlich.
Nein, Wirtin, persönlich zu übergeben, heißt es.
Ich übergeb ihn ihm ja persönlich.
Nein, das geht einmal nicht. Das ist die Vorschrift.
Was für eine Vorschrift soll das sein?
Postgeheimnis.
Post – geh spinn doch nicht, Postlerin.
Wo ist er denn, der Veit?
Am Hausacker oben.
Dann geh ich halt hinauf zu ihm.
Sie ging.
Neugierig und wütend, aber auch überrascht von dieser Tatsache, schaute ihr die Wirtin nach. Da ging sie dahin, die Postlerin mit ihrer ganzen Wichtigkeit, wie sie sich vielleicht für den Herrn Hochwürden oder allenfalls für den Lehrer gehörte. Vorschriften hätte sie jetzt auf einmal. Ein Postgeheimnis. Das hatte es doch noch nie gegeben. Die und ein Geheimnis, die und eine Vorschrift. Die, die der Gärtner mit seinem Goliath-Dreiradler fast über den Haufen gefahren hätte, weil sie mitten auf der Straße die Postkarte gelesen hat, auf der der Lammer-Sepp aus Rom, wohin er mit seiner Horex gefahren ist, heimgeschrieben hat, dass es gar nicht wahr ist, dass man auf Rom übers Meer fahren muss und dass sie ihm das Motorrad gestohlen haben, die Hundsitaliener, die verreckten. Die, die sich direkt daneben stellte, als die Frau Seiler in der Poststube drin zu ihrer Schwester in München telefonierte, und es dann dem ganzen Dorf erzählte, dass der Frau Seiler ihr Schwager an der Prostata operiert worden war und danach eine Windel tragen musste; und wie der Herr Seiler in die Stadt hineintelefoniert hat, dass seine Frau, die für eine Woche abgehauen ist, wieder heimkommen soll, das hat sie hinausposaunt, so dass man schon drei Tage ehe sie gekommen ist, gewusst hat, dass die Frau Seiler wieder heimkommt. Die hätte jetzt ein Postgeheimnis, ein Postleringeheimnis! Jetzt hätte sie auf einmal Vorschriften.
Du lieber Herrgott und alle deine Heiligen aufeinander, was kann jetzt ein Brief von einem Notar für den Veit bedeuten? Das hat es doch noch nie gegeben, dass der Veit einen Brief gekriegt hat. Und noch dazu von einem Notar. Herr sei gütig und gib eine Antwort!
Eine Hitzigkeit stieg in der Wirtin hoch, die anders war als die hitzigen Wellen, die sie in letzter Zeit heimsuchten. Schweißnass war sie, der Schweiß rann von ihrem Kinn zwischen ihre Brüste, und die Gedanken
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